Die Verfügung des Menschen über seinen Leib im Licht des Totalitätsprinzips

Richard Egenter
2014
e n t e r, München Es wäre nicht katholische Art, in der hochaktuellen Frage der Geburtenregelung die traditionelle Lehre einfach beiseite zu schieben, um in einem völlig neuen Ansatz eine mehr oder minder bestechende Lösung zu suchen. Wie für die Theologen des 12. Jahrhunderts gilt auch für uns, daß der Zwerg auf den Schultern des Riesen weiter sieht als ein noch so stattlicher Mann. Aber der Zwerg muß eben auch ein Stücklein weitersehen als der Riese selbst. Das haben die »Zwerge« auch immer
more » ... ieder getan und so hat zum Beispiel die Lehre von den zulässigen Motiven des Ehevollzugs entscheidend über Augustinus und Thomas von Aquin hinausgeführt. Mit anderen Worten, wir haben immer wieder zu prüfen, wie weit sich das Verständnis und die Anwendung zweifellos gültiger Prinzipien des sittlichen Naturgesetzes durch neue Ergebnisse der Profanwissenschaften fördern läßt und die kirchliche Lehre dadurch besser instandgesetzt wird, die jeweiligen Gegenwartsprobleme zu bewältigen. Für die Frage nach den erlaubten Wegen einer Geburtenregelung spielt nicht zuletzt das Totalitätsprinzip (TP) eine wichtige Rolle. Gustav Ermecke zum Beispiel versucht, mittels dieses Prinzips zu neuen Ergebnissen zu kommen 1 ). Es dürfte sich empfehlen, die Tragweite des TP zunächst einmal grundsätzlich und unabhängig von dem Problem der Geburtenregelung zu untersuchen. I. Das TP undseine Anwendung auf den Menschen Die Gültigkeit dieses Prinzips steht außer Zweifel. Pius XII. gibt ihm folgende allgemeine Formulierung: Das TP »besagt, daß der Teil um des Ganzen willen da ist und daß darum das Wohl des Teiles dem des Ganzen untergeordnet bleibt; daß das Ganze für den Teil bestimmend ist und in seinem, des Ganzen, Interesse über den Teil verfügen kann. Das Prinzip ergibt sich aus dem Wesen der Begriffe und der Sache und muß daher absolut gültig sein.« Zugleich betont der Papst, daß das Prinzip mit Umsicht anzuwenden ist. Wichtig »ist die Klärung der *) Gustav Ermecke. Die Frage der Geburtenregelung, In: Dokumentation der KNA n. 33 vom 12. 8. 1964. 2 ) P i u s X 11., Ansprache vom 13. 9. 1952 (Utz-Groner, Die soziale Summe Pius XII., Fribourg 1954, I n. 2281). 3 ) Pius XL, Enz. »Casti connubii«, Denz 32 n. 3723; Cattin-Rohrbasser, Heilslehre der Kirche, Fribourg 1953 n. 1702. 4 ) Vgl. Theodor Bovet, Probleme der heutigen Ehe. In: Schweizer Rundschau 64, 3, 4, 1965,139. 5 ) Von der Frage, ob man für einen »moralischen« Gesamtorganismus ein Organ des eigenen Leibes opfern dürfe, ist das Problem zu unterscheiden, ob nicht nach dem Denken des Neuen Testamentes der »Nächste« so sehr zum alter ego wird, daß in Bezug auf ihn das TP ebenso angewandt werden darf, wie beim totum des eigenen Körpers (vgl. meinen Aufsatz »Die Organtransplantation im Licht der bibliscloen Ethik« In: Boeckle-Groner, Moral zwischen Anspruch und Verantwortung, Düsseldorf 1964, 142-153). Ob dieser Gesichtspunkt innerhalb der Ehemoral Bedeutung gewinnen könnte, soll hier nicht untersucht werden. 6 ) G. Ermecke, a. a. O. 4 n. 4. 7 ) Ebenda 7. Vgl. J. M. Reuß, Nochmals zum Thema »Eheliche Hingabe und Zeugung«. In: Theologische Quartalschrift 144, 4, 472. Die Verfügung des Menschen Uber seinen Leib im Licht des Totalitätsprinzips 169
doi:10.5282/mthz/1558 fatcat:g7mzp7uxuvdohho4re6t7jblvq