Chancen und Grenzen eines Paradigmas. Die Totalitarismustheorie in Anwendung auf den ostmitteleuropäischen Staatssozialismus

Bianca Hoenig
2016
Bianca Hoenig CHANCEN UND GRENZEN EINES PARADIGMAS DIE TOTALITARISMUSTHEORIE IN ANWENDUNG AUF DEN OSTMITTELEUROPÄISCHEN STAATSSOZIALISMUS Totgesagte leben länger -so ließe sich aus westlicher Perspektive die Konjunktur umschreiben, die die Totalitarismustheorie seit dem Fall des "Eisernen Vorhangs" in Ost wie West erfahren hat. 1 "Totalitarismus" war dort einst der zentrale Kampfbegriff des Kalten Krieges gewesen, seit den 1960er Jahren unter den Vorzeichen der Entspannungspolitik aber immer
more » ... r aus der Mode gekommen. 2 Ganz anders jedoch im Osten, besonders in Ostmitteleuropa, wo sich zu eben diesem Zeitpunkt die Dissidenten den Totalitarismusbegriff aneigneten, um ihn gegen die kommunistischen Regime in Stellung zu bringen. 3 Die vielfältige Auseinandersetzung mit dem Totalitarismuskonzept, die nach 1989 einsetzte, war in den ehemals staatssozialistischen Ländern die Fortsetzung dieses zuvor in oppositionellen Kreisen geführten Diskurses, der sich nun öffentlich entfalten konnte. 4 Bis heute ist der Ansatz dort eine wichtige Kategorie zur Analyse der vergangenen sozialistischen Ära und zugleich ein Politikum. 5 Dieser Doppelcharakter ist der Grund, weshalb die Totalitarismustheorie von ihrer Entstehung bis zum heutigen Tag ebenso einflussreich wie umstritten gewesen ist. Das im Italien der 1920er Jahre zur Beschreibung von Mussolinis Faschismus entstandene Konzept etablierte sich nach dem Zweiten Weltkrieg im Westen als das führende Deutungsschema für Nationalsozialismus und Kommunismus. Der Neuartigkeit dieser Diktaturen, die sich im Ausmaß ihres Fanatismus und ihrer Brutalität Vgl. dazu nur zwei in dieser Konjunktur entstandene Sammelwerke, die einen Überblick über die Forschungslage geben: Jesse, Eckhard (Hg.): Totalitarismus im 20. Jahrhundert. Eine Bilanz der internationalen Forschung.
doi:10.18447/boz-2009-1046 fatcat:q235swovbjh4tdrcm4mijp4jg4