Examensklausur Schwerpunktbereich Staat und Verwaltung: Rechtsgestaltung Flatrate-Partys

Birgit Schmidt am Busch
2009 JURA - Juristische Ausbildung  
in Berlin ein 16 Jahre alter Schüler nach schwerem Alkoholmissbrauch. Im gesamten Bundesgebiet hat die Zahl der Jugendlichen, die nach Alkoholexzessen ins Krankenhaus eingeliefert werden, seit 2007 erheblich zugenommen. Häufig haben die Jugendlichen eine sog. Flatrate-Party besucht. Auf einer Flatrate-Party oder All you can Drink-Party werden alkoholische Getränke ohne Mengenbegrenzung zu einem einmalig zu entrichtenden, gegenüber dem Einzelkauf vergleichsweise niedrigen Preis ausgeschenkt.
more » ... t sind im Eintrittspreis die Getränke enthalten. Die freie und kostenlose Auswahl an Getränken ist dabei oft auf einen bestimmten Zeitraum während des Abends und auf gewisse Getränkearten begrenzt, in der Regel neben alkoholfreien Getränken auch Bier und eine Auswahl an harten Drinks. Nachdem die Medien immer häufiger über das »Komasaufen« berichten, ist u. a. auch im Land L eine große Debatte über die Folgen von exzessivem Alkoholkonsum entbrannt. Dem Gesundheitsminister des Landes wird Versagen vorgeworfen. Er wird zu einem stärkeren Vorgehen gegen »Komasaufen« aufgefordert. Die Opposition sieht gesetzlichen Handlungsbedarf. Insbesondere wird ein ausdrückliches Verbot von Flatrate-Partys bzw. Billigalkoholangeboten gefordert. Darüber hinaus spricht sich die Opposition dafür aus, im Land L den Verkauf von alkoholischen Getränken an Tankstellen nach 20 Uhr generell zu verbieten. Der Minister erteilt daher der zuständigen Abteilung in seinem Ministerium den Auftrag, folgende Fragen zu prüfen und für ihn aufzubereiten: A. Welche Handlungsmöglichkeiten gegen Flatrate-Partys und »Komasaufen« bietet das geltende Recht? B. Für den Fall, dass die bestehenden Bestimmungen nicht ausreichend sind: Wie kann ein Verbot von Flatrate-Partys formuliert werden und wie sollte das Land L vorgehen, um ein gesetzliches Verbot zu erreichen? C. Wie ist der Vorschlag der Opposition rechtlich zu bewerten, im Land L den Verkauf von Alkohol an Tankstellen nach 20 Uhr zu verbieten? Zur Bearbeitung des Auftrags lädt die Leiterin des Rechtsreferats die Fachleute (Suchtexpertinnen und -experten, ärztliche und juristische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter) zu einer ersten Besprechung ein. Die juristischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind der Auffassung, dass die Flatrate-Partys schon jetzt nach dem Gaststättengesetz sowie dem Jugendschutzgesetz verboten seien. Die Gastwirte verstießen gleich gegen mehrere Vorschriften dieser Gesetze. Sie begingen dadurch eine Ordnungswidrigkeit oder Straftat, so dass Flatrate-Partys im Vorfeld unterbunden werden könnten. Darüber hinaus sei es ggf. möglich, den Gastwirten die Gaststättenerlaubnis zu entziehen. Es wird sogar die Auffassung vertreten, dass sie wegen Körperverletzung belangt werden könnten. Die Suchtexperten des Ministeriums halten die gegenwärtigen Vorschriften nicht für ausreichend und sprechen sich für die Verankerung eines ausdrücklichen Flatrate-Party-Verbots, d. h. eines Verbots der Durchführung und Vermarktung von übermäßigem Alkoholausschank im Gaststättengesetz oder im Jugendschutzgesetz aus. Damit könne ein wichtiges politisches Signal im Kampf gegen den Alkoholmissbrauch durch Jugendliche gesetzt werden. Die Leiterin des Rechtsreferats weist darauf hin, dass der Bund für einen Teil des Gewerberechts, darunter das Gaststättenrecht, keine Zuständigkeit mehr habe. Da das Gaststättenrecht nunmehr in die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit der Länder falle, sei auch fraglich, ob der Bund gestützt auf die Kompetenzen aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG entsprechende Bestimmungen in das Jugendschutzgesetz aufnehmen könne. Es handle sich doch vorrangig um Maßnahmen des Gaststättenrechts. Möglicherweise könne das Land ein Verbot erst in einem eigenen Landesgaststättenrecht regeln. Außerdem frage sie sich, ob bei einem ausdrücklichen Verbot nicht gegen Grundrechte der Clubbesitzer sowie der jugendlichen Gäste verstoßen werde, insbesondere wenn bereits Maßnahmen zum Schutz von Jugendlichen gegen Alkoholmissbrauch existierten. Das Verbot sei auch nicht geeignet, da sich die Jugendlichen durch »Vorglühen« betränken und die Saufpartys dann in den privaten Bereich verlagert würden. Es müsse stattdessen mehr zur Aufklärung getan werden. Der Vorschlag der Opposition, den Verkauf von Alkohol nach 20 Uhr in Tankstellen zu verbieten, wird allseits fachlich begrüßt. Ein solches Verbot werde zur Reduzierung des Alkoholkonsums beitragen, da »Spontaneinkäufe« am Abend ausgeschlossen würden. Doch auch hier meldet die Leiterin des Rechtsreferats rechtliche Bedenken an. Mit der Föderalismusreform sei auch die Zuständigkeit für den Ladenschluss auf die Länder übergegangen. Das Land L habe jedoch bislang darauf verzichtet, ein eigenes Ladenschlussgesetz zu erlassen, so dass das Ladenschlussgesetz des Bundes weiter gelte. Zudem handle es sich um einen Eingriff in die Berufsfreiheit der Inhaber von Tankstellen sowie in Grundrechte der Verbraucherinnen und Verbraucher, der einer Rechtfertigung bedürfe. Der Vorschlag der Opposition berücksichtige nicht, dass alkoholische Getränke nach wie vor nach 20 Uhr an Bahnhofsverkaufsstellen etc. gekauft werden könnten. Nach diesem Gespräch wird die Mitarbeiterin im Rechtsreferat Doer beauftragt, einen Vermerk zur Beantwortung der vom Minister aufgeworfenen Fragen zu entwerfen. Aufgabe: In einem Rechtsgutachten sind die vom Gesundheitsminister dem Rechtsreferat zur Prüfung vorgelegten drei Fragen zu prüfen. Es ist insbesondere auf alle im Sachverhalt angesprochenen Probleme einzugehen. Wo notwendig, sind die Alternativen darzustellen. L Ö S U N G A. Handlungsmöglichkeiten nach geltendem Recht Der Gesundheitsminister des Landes L bittet um Auskunft darüber, ob gegen Gastwirte und Diskothekenbetreiber, die Flatra-Methodik * Die Verfasserin ist Privatdozentin an der Humboldt-Universität zu Berlin und Akademische Direktorin an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Die Klausur wurde im Wintersemester 2008/09 im Rahmen des Examensklausurenkurses an der Ludwig-Maximilians-Universität gestellt. Die Rechtslage im Land L entspricht der aktuellen Rechtslage im Freistaat Bayern (Stand: 31. 3. 2009), der bislang weder ein Landesladenschlussgesetz noch ein Landesgaststättengesetz erlassen hat.
doi:10.1515/jura.2009.473 fatcat:hircfruy7fgnzk4t6g23dgh3va