Ist man berechtigt den "Athetose" genannten Symptomen-complex durch einen besonderen Namen auszuzeichnen?
Ottomar Rosenbach
1876
Virchows Archiv
u Ist man berechtigt den "Athetose" genannten Symptomencomplex dutch einen besonderen Namen auszuzeichnen? "Con Dr. Ottomar Rosenbach, hssistenzarzt tier medic!nischen Klinik zu Jena. Yenn ich mir, gesttitzt auf einen einzigen Fall des eigenthiimlichen Leidens, welchem H atom o nd 2) den Namen Athetose gegeben hat, erlaube, die Frage zu erSrtern, ob Veranlassung vorhanden ist, ftir jene merkwtirdige uns frappirende Erscheinungsform von Muskelzuckungen einen eigenen Namen aufzustellen und damit
more »
... ine neue nut symptomatologisch und gewissermaassen nach localen Gesichtspunkten begrenzte Gruppe yon der grossen Klasse der Krampf-und Tremorformen a]s cine mehr selbstst~indige Affection abzutrennen, so bin ich mir wohl bewusst, dass das Unternehmen ein schwieriges und augenblicklich kaum ganz zu einem sicheren Ziele ftihrendes ist. In der That muss es verfriiht erscheinen, einen derartigen Versuch zu wagen, da wegen der geringen Anzahl der bis jetzt beobachteten und beschriebenen F~ille yon Athetose, wegen tier Verschiedenheit des Symptomenbildes, die die einzelnen in der Literatur vorhandenen Beobachtungen bei aller sonstigen Aehnlichkeit doch darbieten, nicht nur ein genaues klinisches Bild der Athetose, eine Trennung der wichtigen: vori den unwichtigeren Symptomen mangelt, sondern weil auch wegen der noch fehlenden Obductionsbefunde, eine geniigende anatomische Grundlage nicht vorhanden ist, welche allein im Stande ist, eine richtige Classification anzubahnen. Da also die Affection als solche, die Feststellung, ob sie ein selbstst~indiges Leiden oder Begleiterscheinung eines anderen ist, noch genauerer Untersuchungen und einer reichen Casuistik bedarf, so kSnnte die schon jetzt aufgeworfene Frage nach dcr Existenzberechtigung der neuen,: wie erwlihnt, noch nicht gentigend charakterisirten Krankheit unzeitgemiiss uad inopportun J) Treatise on diseases of nervous s?stem, $6 erscheinen. Nichtsdestoweniger glaube ich den Versuch zu ether solchen Eriirterung maehen zu dtirfen, da das Hauptsymptom der Athetose, welches dem Prozesse den Namen geliehen hat, eine so charakteristische Erscheinung bietet, dass man es von anderen Moti-litiitssti~rungen, yon den hltufiger zur Beobachtung kommenden Krampf-und Tremorformen, wohl zu unterscheiden vermag. Um so mehr glaube ich zu einer solehen IVlittheilung bereehtigt zu sein, weil ich vielleicht im Stande bin, dutch dieselbe manchen dunkeln Punkt in dem Krankheitsbilde aufzuhellen. Da der Fall, tiber den ich beriehten will, und den ieh wohl nieht mit Unrecht far einen l)ritgnanten hake, yon Beginn des Leidens his zum Exitus tethalis dureh eine lange Rcihe yon Jahren beobachtet wurde, da das Obductionsresultat die G~undlagcn ftir eine Eri~rterung in anatomischer Beziehung bietet, so dtirfte eine ausftihrliehe Darstellung wohl nicht nnerwtinscht sein. Zwar zeigt auch meine Beobachtung manche M~ngel und mancher Punkt ist nicht gentigend beriicksichtigt Worden, ein Umstand, tier durch die lange Krankheitsdauer und die versehiedcnen Beobachter wohl seine Erkliirung findet un(~ dadnrch noeh erkliirlicher wird, dass auch ich anfangs den sehr frappirenden und mir bis dahin unbekannten Symptomencomplex for eine seltene, aber schon besehriebene Form tabetiseher Mofilit~ttSStiirungcn hi~lt. Erst durch die Lectiire der Hammond'schen Arbeit und namentlich durch die e!ngehende Bearbeitung, die die Frage yon der Athetose neuerdings dutch Bernhardt') gefunden hat, kam ich zu der Ueberzeugung, dass ich es wirklich mit einem Falle der Hamm ond'schen Krankheitsibrm zu thun gehabt hatte. lch beabsichtige in Folgendem erst die Krankengeschichte, dann den Obductionsbefund zu geben und zum Sch!uss.e dis Bcantwortung der im Eingange gestellten Frage zu versuchen. Sollte sich bet mikroskopischer Untersuchung der Centralorgane ein yon dem Befunde der grauen Degeneration der Itinterstrlinge abweichendes Verhalten herausstellen, so werde ich seinerzeit dartiber berichten. Die Befunde his zum Jahre 1874 sind aus den friiheren Krankenjournalen, sowie nach yon mir angestellten Erkundi~un6en zusammengeste!lt. t) I)ieses /krchiv Bd. LXV][I.
doi:10.1007/bf01879538
fatcat:th7kdcsr2nh4zndbfzqvpujv4e