Erläuterung der Begriffe von möglich und unmöglich, wahrscheinlich, unwahrscheinlich und gewiss, von Glück und Unglück. Ein wiederaufgefundenes "Loses Blatt" von Kant

H. Vaihinger.
1902 Kant-Studien  
Man nehme eine Klassenlotterie an von 60000 Losen; der Hauptgewinn sei 50000 Thlr. Diesen Hauptgewinn oder das grosse Los zu gewinnen, ist für den unmöglich, welcher kein Los genommen hat; der Unmöglichkeit stehet stets die Gewissheit gerade entgegen, und diese hat der, welcher alle 60000 Lose genommen hätte; innerhalb dieser Grenzen und der Nummern von l bis 59999 liegt nun ganz klar die Möglichkeit. Diese Möglichkeit ist unwahrscheinlich von l bis zu 29999 Losen, wird aber durch zwei, noch
more » ... zugenommene, nämlich bei 30001 Losen, zur Wahrscheinlichkeit. Bei einem genommenen Lose ist die Unwahrscheinlichkeit, bei 59999 Losen aber die Wahrscheinlichkeit am grössten; jene grenzt an die Unmöglichkeit, diese au die Gewissheit. Wären nun aber bei der Ziehung nur noch zwei Nummern im Glücksrade, die deinige und die eines ändern, und du willst wissen, welchen Grad von Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit du für dicii hast, dann muss die Anwendung eines ändern Begriffes stattfinden, nämlich der Begriff von dem, was wir Glück nennen. Hast du, wenn andere lose Streiche verübten, die Zeche bezahlen müssen; ist dir die Butterschnitte in der Eegel auf die geschmierte Seite in den Sand gefallen; hast du gewöhnlich den rechten Stiefel an den linken FUSS gezogen; sind dir andere zuvorgekommen; hast du gestolpert, wenn du ein recht schönes Kompliment machen, oder dich gar blamiert, du glänzen wolltest; o weh! du hast das, was man Unglück nennt. Sind aber vor und hinter dir Ziegel vom Dache gefallen, ohne Brought to you by | Nanyang Technological University Authenticated Download Date | 6/14/15 7:59 AM ») Lotterien spielten um jene Zeit eine grössere Bolle fast noch als jetzt Dass Kant sogar häufig angegangen wurde, Lotteriebillete unterzubringen, erwähnt Borowakl, Kant 8. 99 (nach einer Mittellang von R. Burger), Über "Leasing und Bva verw. König als Lotteriespieler" ·. Tb. Distel in Max Koobs "Studien zur vergl. Idtteraturgeaohichte* I, 4, 613. . Leasing und Kant spielten sogar in derselben Lotterie, in der Braunschweiger Waisenhaus-Lotterie, s. Reioke, Lose Blatter II, S. 289. Brought to you by | Nanyang Technological University Authenticated Download Date | 6/14/15 7:59 AM *) Nach einer Mitteilung von A dicke i eUmmt da· Fragment 287 wohl eher au· dem Ende der 70er Jahre. Adicke· erinnert ferner an Reflexion II, No. 825 (80er Jahre), wo K. die "Grade der Möglichkeit* auch, durch ein verwandte· Beispiel erläutert: " §o gehören viel Würfe, um eine Tern zu werfen". Derselbe weist noch anf die Kr. d. r. V., 8. Aufl. 8. 858 hin, wo Kant da· Problem "vom Meinen, Wieeen und GUuben" dadurch erläutert, da·· jemand für •eine Glanbeneftberzeugung eine Wette (von l-lODncaten) eingebt Beioke wellt ferner hin auf die Vorrede Kant· Schrift Über die "Negativen Grönen" (1768), wo Kant von der "Logik der Erwartungen in Gldokefallen" ipricht. Kantetudlen VII. 7 Brought to you by |
doi:10.1515/kant.1902.7.1-3.94 fatcat:o6hqeazwcjc6hfh2t36p7e4wlu