2.1 Niederlage und Revolution: Die Infragestellung des Bisherigen Deutschlandbildes [chapter]

2005 Auf ewig Feind?  
Die Novemberrevolution, die mit dem Aufstand der Kieler Matrosen begann und das Ende des Kaiserreichs bedeutete, und der Waffenstillstand, der die militärische Niederlage Deutschlands besiegelte, hatten dem in der englischen Propaganda gezeichneten Deutschlandbild die Grundlage entzogen. Zu offensichtlich war nun der Widerspruch zwischen dem propagierten Bild des auf Welteroberung angelegten militärischen Machtstaats preußischer Prägung und der Realität eines besiegten, sich revolutionär
more » ... tisierenden Deutschlands, als dass die Presse die sich überstürzenden Ereignisse hätte ignorieren können. Die Reaktionen auf die Revolution fielen nach einer anfänglichen Orientierungsphase sehr unterschiedlich aus. Schon die Reformen der neuen Regierung des Prinzen Max von Baden, mit denen die Reichsverfassung zu einer echten parlamentarischen Demokratie mit einer nur mehr repräsentativen monarchischen Spitze umgebaut wurde, lösten zwei gegensätzliche Interpretationsmuster aus. Die konservativen, patriotischen Blätter, allen voran die Daily Mail von Lord Northcliffe, sahen darin ein bloßes Betrugsmanöver. Demnach war die Demokratisierung nur vorgetäuscht, die an der Regierung beteiligten Sozialdemokraten ein Instrument in den Händen der deutschen Militaristen und das Angebot eines Waffenstillstands eine gezielte Maßnahme, um für die deutsche Armee an der Westfront eine Atempause zu erreichen. 1 Die liberale und linke Presse dagegen war nach anfänglichem Zögern überzeugt, dass die Veränderungen in Deutschland echt waren und dass eine Zusammenarbeit mit der neuen Regierung möglich wäre. 2 Der Herald beschrieb die Verfassungsänderungen beispielsweise als "wasserdicht" und der Manchester Guardian betonte, dass in Deutschland mit einem Schlag eine politische Ordnung erreicht worden sei, wofür England Jahrhunderte gebraucht habe. 3 Beide Zeitungen begannen angesichts der andauernden Diffamierung Deutschlands als "shamocracy" in der konservativen Presse, vor den Gefahren eines zu weit gehenden Wandels zu warnen, der in einer bolschewistischen Revolution enden könnte. Damit waren II. Wandel und Kommunikation des Deutschlandbildes 200 1 Tatsächlich hatten die Oktoberreformen 1918 zum Ziel, dem Verlangen Präsident Wilsons nach Bildung einer demokratisch legitimierten Regierung nachzukommen und einen revolutionären Umsturz zu verhindern. Die Mehrheitsparteien im Reichstag waren außerdem zunächst entschlossen, an der Hohenzollernmonarchie festzuhalten. Vgl. MOMMSEN, Aufstieg und Untergang, S. 35.
doi:10.1524/9783486707663.200 fatcat:z5mznyqjojcere2hf4h7s4ec3q