Friedrich300-Hof und Familie Autoren

Jürgen Luh, Michael Kaiser
1997 unpublished
Einleitung Jürgen Luh und Michael Kaiser <1> Am 24. Januar 2012 jährt sich der Geburtstag Friedrichs des Großen von Preußen zum dreihundertsten Mal. Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) nimmt das Datum dieses Geburtstages zum Anlass, über das Umfeld und die Person des Königs und deren Bedeutung einst und jetzt neu nachzudenken. Sie hat zu diesem Zweck eine Tagungsreihe ins Leben gerufen, die neue, andere und auch bislang nicht gestellte Fragen zu Friedrich,
more » ... er Zeit und seiner Wirkung nach dem heutigen Wissens-und Kenntnisstand beantworten soll. Dabei wird die SPSG von unentbehrlichen Partnern unterstützt: von der Stiftung Preußische Seehandlung, vom Deutschen Historischen Institut Paris und vom Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte Potsdam. <2> Diese zweite Konferenz widmet sich dem preußischen Hof in der Zeit Friedrichs des Großen. Es ist ein Thema, das bei der Betrachtung Friedrichs und seines Wirkens traditionell nur wenig Aufmerksamkeit gefunden hat: Denn "der Hof" passte nur schlecht zum lange Zeit vorherrschenden Friedrich-Bild. Man wollte den rational-aufgeklärten Herrscher nicht mit der höfischen Szenerie in Verbindung bringen, weil "der Hof" des Herrschers in der bürgerlichen Geschichtsschreibung des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts als dekadent und verdorben galt. Dies ließ man noch für Friedrich I., den ersten preußischen König, gelten, der seine Würde in prunkvoller Hofentfaltung zur Schau stellte. Doch in der Darstellung eines aufgeklärten und damit der Moderne und dem Fortschritt zugewandten Herrschers erschien die Welt des Hofes unpassend. <3> Für diese Sicht der Dinge hat Friedrich selbst Anlass gegeben, als er die Hofhaltung seines Großvaters Friedrichs I. als "verschwenderisch" anprangerte. Sie sei "eher von asiatischem Prunk als von europäischer Würde" gewesen, 1 und die Historiker sind dieser Wertung auch bei der allgemeinen Betrachtung des Phänomens "Hof" lange Zeit gefolgt. In Karl Biedermanns Bänden über "Deutschland im 18. Jahrhundert" (1854-1880) beispielsweise findet man über die "Duodezhöfe" und ihre Herrscher Urteile wie "nichtsnutzig", "liederlich" "frivol", "maßlos", "ausschweifend", bestenfalls "üppig". Es habe ein lächerlicher Streit um Rang und Titel geherrscht. "Höfe und Adel [waren] gänzlich versunken in 1 Die Werke Friedrichs des Großen. In deutscher Übersetzung. 10 Bde., Bd. 1: Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg, hg. von Gustav Berthold Volz, deutsch von Friedrich von Oppeln-Bronikowski, Willy Rath und Carl Werner von Jordans, Berlin 1913, 118. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung (CC-BY-NC-ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de ausländischer Sitte, oder vielmehr Sittenlosigkeit, und gänzlich abgewendet von den Fortschritten nationaler Bildung, gleichsam abgelöst von dem eigentlichen Nationalkörper." Doch "mit dem Auftreten Friedrich 's [des Großen] beginnt eine Reaction des bürgerlich sittlichen Bewußtseins gegen die vornehme Sittenlosigkeit, des selbstbewußten geistigen Aufstrebens der Mittelklassen, der Träger einer soliden Bildung, gegen die fade Oberflächlichkeit der bisher tonangebenden Kreise." 2 Das Interesse der Historiker und Politiker galt der nationalen bürgerlichen Staatswerdung. Der Hof galt als anachronistisch und überlebt. Friedrich besaß deshalb keinen Hof im Sinne der bürgerlichen Kritik. Dies ließ sich aus seinen abfälligen Urteilen über Zeremonien und Titel leicht konstruieren. <4> Der einzige, der trotz dieser Tendenzen in der deutschen Geschichtswissenschaft, quasi gegen die Zunft eine Gesamtschau des preußischen Hofes wagte, war Eduard Vehse -im Rahmen seines 48 Bände umfassenden Riesenwerkes "Geschichte der deutschen Höfe seit der Reformation". Auf der Grundlage aller verfügbaren gedruckten Quellen beschreibt die 1851 erschienene "Geschichte des preußischen Hofs" die Hofhaltung von 1535 bis 1840, von Kurfürst Joachim II. bis zu König Friedrich Wilhelm III. -zwar schon damals nicht wissenschaftlichem Standard entsprechend, aber mit heute noch aufschlussreichen Wertungen. <5> Von den preußisch gesinnten Historikern ist dieses Werk als nutzlos verdammt worden. So hieß es beispielsweise zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts: Von Vehses Buch wisse doch "jeder Sachkenner, dass wir es hier mit einem Tendenzwerk schlimmster Art zu tun haben. Der einseitige politische Standpunkt des betriebsamen Publizisten ist in diesem Werke mit so auffallendem Mangel an gründlicher Forschung und historischer Kritik verbunden, dass üppig wucherndes Unkraut von unbeglaubigten Anekdoten, unkontrollierbaren Gerüchten und fabulösen Geschichtchen das ernsthafte Nachrichtenmaterial völlig erstickt oder in den Hintergrund drängt." 3 <6> Diese Diskreditierung von Vehses Hofgeschichte beruhte, neben der Tatsache, dass Vehse ein Liberaler war, im Falle Friedrichs vor allem auf dem Abdruck von Urteilen auswärtiger Diplomaten und Besucher "über Regiment und Charakter" 4 des Königs, die keineswegs immer schmeichelhaft für Friedrich waren. Und sie beruhte auf Vehses ausgiebiger Benutzung von Anton Friedrich Büschings Buch über den Charakter des preußischen Königs von 1788. 5 <7> Doch schon Büschings Offenbarungen fanden nicht viel Beifall; sein Werk traf auf eine erste publizistische Welle der Friedrich-Begeisterung nach dem Tod des Königs. Viele engagierte Zeitgenossen nahmen Büsching übel, dass er dem großen König den verdienten Heiligenschein vorenthielt. Der in preußischen Diensten stehende Diplomat und Aufklärer Christian Wilhelm von Dohm beispielsweise, der die erste wissenschaftlichen Anspruch erhebende Bibliographie der Werke von und über Friedrich verfasst hat, beanstandete Büschings Buch als verwirrend, als das Bild des Königs entstellend: "Er [Büsching] bemühte sich sehr um möglichste Zuverläßigkeit der Nachrichten, die er bekannt machte;" schrieb Dohm, "aber es fehlte ihm an richtiger und scharfer Beurtheilung und an Geschmack, um das Wichtige und Erhebliche von dem Unwichtigen und Gemeinen zu unterscheiden, auch oft an Gefühl des Schicklichen und Anständigen. Dies zeigt sich ... in der Charakteristik des großen Königs ... Sie gibt von den großen Eigenschaften Friedrichs, die er als Mensch, als Regent und als Feldherr hatte, gar keinen Begriff." 6 Büsching hatte gewagt, Friedrich an seinem Hof als Mensch mit Schwächen zu zeigen, dessen Vorliebe für ausgiebige Mittagstafeln anzusprechen, was Vehse zum Teil in sein Werk übernahm -was jedoch bei der politischen Bedeutung, mit der die preußische Geschichtsschreibung Person und Geschichte des Königs seit der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts aufgeladen hatte, nicht sein durfte. <8> Die Historiographen des preußischen Staates begannen deshalb Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts selbst, "auf Grundlage archivalischer Forschungen und kritischer Sichtung der gedruckten Quellen ... die mannigfachen Erscheinungen, Ereignisse und Verhältnisse des preußischen Hoflebens in ihrem bunten Getriebe von 1688-1888 anschaulich zu schildern". Dabei wollten sie "diesen Dingen und den daran beteiligten Persönlichkeiten ... zu ihrem vollen historischen Recht ... verhelfen" -nach der Aufgabenstellung und dem Motto Heinrich von Sybels: "Es gibt keine bessere Propaganda für das Ansehen Preußens in der Welt, als die authentische Kenntnis der Preußischen Geschichte." 7 Tabaksdosen im Wert von rund 1,3 Millionen Talern, eine Information, die wir übrigens Vehse verdanken. 12 Dass er für die Dosen viel Geld ausgab, immer zwei bei sich hatte, sie auch gern verschenkte, war allgemein bekannt. Besonders nach dem Siebenjährigen Krieg wuchs die Bedeutung des friderizianischen Hofs. Deutlich und sichtbar wurde dies nicht zuletzt daran, dass dem König nun Schloss Sanssouci nicht mehr ausreichte. Mit dem Neuen Palais ließ Friedrich einen mächtigen Schlossbau errichten. 13 Er bewies damit, dass er durchaus Sinn für den Hof als Mittel der Repräsentation hatte: Die neue europäische Macht Preußen sollte auch in ihrer höfischen Selbstdarstellung erfahrbar werden. <15> An diesem Punkt hat auch die neuere Forschung angesetzt und den Hof als relevanten Ort politischen Handelns wahrgenommen. Dies gilt im Anschluss und in Auseinandersetzung mit den Thesen von Norbert Elias zum Hof im "Absolutismus" auch für die Rolle des Hofes im preußischen Herrschaftsgefüge des 18. Jahrhunderts. 14 Hierbei erkannte man rasch den Zusammenhang der einzelnen Schlösser im Gesamtgeflecht der Berlin-Potsdamer Residenzlandschaft, wobei den verschiedenen Schlössern jeweils eine Zeichenfunktion und eine spezielle repräsentative Aussage zugewiesen war: Im Ensemble der höfischen Bauten gab es Orte, die den familiär-dynastischen Bezug betonten, die auch die regionalen Eliten einzubinden trachteten, die ganz auf den staatlichen Repräsentationszweck einer Großmacht zugeschnitten waren -oder weitgehend einer monarchischen Zurückgezogenheit vorbehalten blieben. Dass der Hof an sich auch von anderen Lebenswelten wie der bürgerlichen, bäuerlichen oder militärischen nicht abgeschnitten war, sondern mit ihnen interferierte und in Austausch stand, muss nicht erst eigens betont werden. 15 <16> Die Forschung hat mittlerweile auch den Hof Friedrichs des Großen in einen weiteren historischen Kontext gestellt und ihn mit den höfischen Welten seines Vaters und Großvaters verglichen. 16 Alle drei Monarchen haben den Hof unterschiedlich interpretiert und ihrem jeweiligen höfischen Leben einen 12 Wilhelm Bringmann: Friedrich der Große. Ein Porträt, München 2006, 43. 16 Johannes Kunisch: Funktion und Ausbau der kurfürstlich-königlichen Residenzen in Brandenburg-Preußen im Zeitalter des Absolutismus, in: Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte, NF 3 (1993), 167-192. ganz spezifischen Stempel aufgedrückt. Dabei kann man sich durchaus fragen, ob hier Schwankungen zwischen übertriebener Hofbegeisterung und übersteigerter Hofverachtung vorlagen. Doch genauso kann man den preußischen Monarchen eine gewisse Virtuosität im Umgang mit der Machtressource Hof zugestehen: Phasenweise war der Hof in nur sehr reduzierter Form vorhanden, aber die Fähigkeit zu "fallweisem Prunk" gab es gleichwohl. 17 Und dies gilt nicht nur im Vergleich der drei preußischen Könige untereinander, sondern auch für Friedrich selbst, der in den verschiedenen Phasen seines Lebens, in seiner Kronprinzenzeit, in seiner Frühphase als König und nach dem Siebenjährigen Krieg seinen Hof durchaus unterschiedlich aufgebaut und genutzt hat. <17> Unbestritten jedoch ist heute, dass Friedrich ungeachtet seiner abfälligen Bemerkungen den Hof als Instrument herrscherlicher Inszenierung gezielt gestaltete und auch als monarchischen Lebensraum sehr bewusst wahrnahm. Von einer Geringschätzung oder auch nur einem mangelnden Interesse für das Höfische kann keineswegs die Rede sein: Das Thema Friedrich und der Hof ist nicht erst von der historischen Forschung entdeckt worden, auch der Monarch selbst war sich stets der Relevanz des Hofes bewusst. <18> Dabei darf man nicht den Fehler machen, nur auf den König selbst zu schauen. Zwar leistete sich Friedrich, wie andere europäische Herrscher auch, einen Hof, der in der Regel mit allen üblichen Chargen besetzt war. Doch es gab nicht nur die königliche Hofhaltung, darüber hinaus existierte noch der Hof der Königinmutter, der Hof der Königin Elisabeth Christine, die Höfe seiner Brüder Heinrich und August Wilhelm (dessen Frau hatte wiederum einen eigenen Hof), schließlich der Hof Ferdinands, Friedrich Wilhelms II. und jener der Schwedter Nebenlinie. 18 Insofern ist es schwierig, von "dem preußischen Hof" zur Zeit Friedrichs zu sprechen. Vielmehr gab es ein Nebeneinander von vielen Hofhaltungen, wobei die hier konstituierten Hofgesellschaften miteinander in Austausch standen und überhaupt das System "Hof" nie in Erstarrung verfiel, sondern steter Veränderung unterworfen war. Der Begriff des "friderizianischen Hofes" muss daher als Kollektivbegriff für eine Mehr-oder Vielzahl höfischer Konfigurationen in der Berlin-Potsdamer Residenzenlandschaft aufgefasst werden.
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