04_Diskussion zum Vortrag von Hinrich Rüping
Eva Schumann, Göttingen Academy Of Sciences
2017
Sie haben am Rande erwähnt, dass die Zurückdrängung der Folter im Grunde durch die Strafpraxis vorbereitet wurde. Die Bedeutung der Strafpraxis, die sich deutlich von dem unterscheidet, was im Strafgesetz steht, sollten wir nicht aus den Augen verlieren. In unserem Tagungstitel steht das Strafgesetz im Mittelpunkt, aber die Frage, in welchem Verhältnis Strafgesetz, Strafpraxis und Rechtswissenschaft stehen, könnten wir in der Schlussdiskussion nochmals aufgreifen. Jetzt möchte ich aber die
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... ssion zu Ihrem Vortrag eröffnen. Herr Behrends bitte. BEHRENDS: Vielen Dank! Der Vortrag bringt eine willkommene Zuspitzung unseres Themas des strafenden Sozialstaates, in deren Mittelpunkt ja das Verhältnis von Staatszweck und Strafe steht. Die Leitfrage ist: Welche Wirkung hat die Idee des Sozialstaats auf das Strafen? Im religiös legitimierten Staat kam, wie Sie geschildert haben, das strafende Schwert quasi aus den Wolken und symbolisierte einen göttlichen Auftrag der Strafgewalt. Mit THOMASIUS vollzog sich dann der unwiderrufliche Schritt in ein Strafrecht, das zur Disposition der Staatszwecke steht: punitur ad utilitatem rei publicae. Nach modernen Erfahrungen klingt das nicht mehr nur befreiend, sondern auch besorgniserregend. Wir wissen heute, dass auch das Extreme Staatszweck werden kann. Auch der NS-Staat hatte seinen Staatszweck, so verwerflich er war, nicht anders die DDR. Die bloße Tatsache, dass ein Ziel ein Staatszweck ist, entscheidet nicht über seinen moralischen Wert. Im Sozialstaat, der in seinem Kernbereich eine moralische Errungenschaft ersten Ranges ist, stehen in der Strafe Resozialisierung des Täters und défense sociale im Vordergrund. Die moralische Verteidigung des Wertes des Lebens eines einzelnen Menschen, der Opfer eines Tötungsverbrechens geworden ist, macht ihm dagegen Schwierigkeiten. Noch eine Bemerkung zu dem Ausdruck "Straftaten gegen die Menschlichkeit". Mir hat hier HANNAH ARENDTS Kritik immer eingeleuchtet. Sie sieht in dem Ausdruck einen unerträglichen Euphemismus. Er klinge ja so, als hätten die NS-Täter es nur an Menschlichkeit fehlen lassen. "Crime against humanity" heißt aber "Straftaten gegen die Menschheit". Und das trifft den Sachverhalt. Die Menschheit wird in ihren Grundfesten erschüttert, wo Staatsverbrechen ermöglichende Staatszwecke zur Herrschaft kommen.
doi:10.26015/adwdocs-847
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