"Sämele und sein Bueble"
R. Nagelberger
1901
Alle Rechte vorbehalten. Kamele" (Samuel) ist ein "Mannle" in "Nagelbergen" mit Weib und Kind, Boden, Vieh, Vermögen und Schulden, ein Zinsbäuerlein ist Sämele. Er liebt sein "Hushäble" (Familie) und sein "Vechle" (Viehhabe) nicht minder und es war ein Ereignis bei Sämelis, als ihnen "fern" (voriges Jahr) im Christmonat das "Bueble" geboren wurde, von dem hier die Rede ist. Um deutlich zu sein, es war der "Hirz" ; Sämele's schönste Kuh, die ihm ein Stierkalb warf, von dem er schon lange, als es
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... noch im Dunkeln lag, gesagt hatte zur "Eva": "Vertwene (entwöhnen, aufziehen) thue mer'sch sigs was wöll!" Das war nun freilich viel gesagt und kühn auf Hirzens Vorzüge abgestellt und Sämele sperrte doch die Augen auf, zündete mit feiner "halbblinden" Laterne, betastete, befühlte das nasse Wesen um und um undkam zu dem Befund: "Die baar Mueter!" Als es Tag geworden und das "Büsele" noch ungeschickt, doch bereits auf seinen Vieren herumstolperte, ging die Schau von neuem au. Wahr ist, Sämele hatte zur Zeit seinem leiblichen Bueble, dem Anderesle, so viel Aufmerksamkeit nicht geschenkt und ob die Weiber auch beteuerten, ein so hübsches Bueble hätten sie noch kein's angetroffen, stimmte ihn das lange nicht so fröhlich, wie wenn einer in den Stall kam und sagte: "Du hast do kä g'strub's (wüest's) Chälble, jo gad e chli e schös isch." Von nun an widmete Sämele manche Viertelstunde der Betrachtung des kleinen Vierfüßers und wechselte dabei seine Meinung so oft fast, als jener die Stellung. Zuweilen däuchte ihn, es wäre doch ein "mords" wackeres Kalb. Dann kam er wieder und sagte zum Weibe: "Jh legg' ein en Chübel a, er git en Wüestelel" Und wirklich, nach einigen Wochen trug das kleine Vieh den Kübel; Sämele wollte die Wahl, es zur Schlachtbank zu geben, wenn es in dem, oder noch höhern Grad "wüesten" sollte. Das Kalb bekam genügend Milch, wurde indes nicht gerade fett, da mittlerweile die Läuse bei ihm Wohnung genommen hatten. Sämele war nicht der Mann, der sich überstürzte. Nur so nach und nach erkannte er die Anwesenheit der blutdürstigen Schmarotzer und eben so gelegentlich machte er ihnen den Krieg. Wachsen that das Bueble; es ward älter und größer als fett und die Zeit gekommen, wo es fort mußte, oder Heu fressen und dann Sämele Freude machen mit seiner Schönheit und Gestalt oder Verdruß mit Häßlichkeit und Ungestalt. Hie und da kam einer und Sämele hätte gar zu gern rühmen gehört, um gemäß seinem ursprünglichen Lieblingsplan, das "Pfährle" aufziehen zu können. Es ist indessen mit der Leute Meinung nicht ganz alles, das wußte er auch; der sagt, was er nicht denkt und jener denkt, was er nicht sagt und das Nichtige daraus zu finden hält oft schwer.
doi:10.5169/seals-573728
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