Verdichtungen des Alltags. Lukians Meergötter-Gespräche
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PETER VON MÖLLENDORFF
Mythosaktualisierungen
For an analysis of the actualisation potential of Lucian's Dialogms ofthe Sea-Gods (2nd centuiy AD), mythography and mythology are differentiated. Mythographi-. cal texts compile myths for the purposes of systematization and themaüc illustration. Mythological works intend the development of a System of thought with the help of the mythical discourse. The Dtalogms ofthe Sea-Gods can be understood as a mythological concept that revitalizes myths as part of a potentkUy Peter von Möllendorff nen.
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... kian schreibt kein Epos, keine Lyrik, keine Dramen, keine Romane, sondern sein Werk besteht aus rund 80 kürzeren oder längeren Prosatexten zu einer großen Vielfalt von Themen. Da sind etwa seine Dialogsammlungen: die Totengespräche, in denen verschiedenste mythische und historische Gestalten in der Unterwelt zusammentreffen und die Hinfälligkeit des menschlichen Lebens mit sarkastisch-witziger Pointierung erörtern; die Göttergespräche und die Meergötter-Gespräche, vignettenartige Unterhaltungen von Göttern und Göllinnen über diverse Sujets der Mythologie; die Hetärengespräche, m. denen Prostituierte miteinander oder mit ihren Kunden über die Besonderheiten ihres Metiers sprechen. Den Ruf des Satirikers hat sich Lukian aber insbesondere durch seine Schriften zum Tod und durch seine Texte zur Philosophie und zu den Philosophen erworben. Dass der Mensch sterblich ist und dass es sich deshalb nicht lohnt, sich um Ruhm und Reichtum zu kümmern, ist ein Thema" das Lukian in immer neuen Wendungen durchspielt: Werke wie Charon, Die Totenbeschwörung, Die Fahrtin die Unterwelt, Wünsche oder Das Schiff etwa legen Zeugnis für eine Lebenseinstellung ihres Autors ab, die sich aus der moralphilosophischen Tradition speist Dieses ,Bekenntnis e , weni^ man es denn so nennen will, hält Lukian, oft in der Maske eines Mannes namens ,Lykinos<, auch denjenigen Philosophen entgegen, deren tatsächliches Verhalten nicht den Lehren und der Ethik der philosophischen Richtung entspricht, die sie nach außen vertreten. Zu dieser Gruppe von Schriften gehören etwa Der Fischer, • Der VerkaufdzrUbensf(mnm,D zeitgenössische Persönlichkeiten enthalten Schriften wie Über den Tod des Peregrinus Proteus oder Alexander, der Lügenprophet. Texte wie Gegen einen Ungebildeten, DerRbetoriklehrer, Der Wörterxeiger (Lexiphanes) setzen sich aggressiv mit Fragen der Bildung und der Bestimmung dessen, was als ,gutes Griechisch zuzeiten hat" auseinander. Weiter enthält das Corpus Luäaneum Feuilletonistisches -etwa Über die Trauer, Über den Tan%-und Deklamatorisches, also rhetorische Übungen, wie sie in der rednerischen Ausbildung an der Tagesordnung waren: Der Tyrannenmörder, Der enterbte Sohn, Lob der Fliege und anderes. Zu dieser Buntheit und Vielfalt der Themen, die eine Hteraturgeschichtliche Einordnung ihres Verfassers schon hinreichend erschweren, kommt als weiteres, nicht minder gravierendes Problem die Tatsache hinzu, dass bei der deutlichen Mehrzahl der erhaltenen Texte ihre ursprünglich intendierte Rezeptionsform nicht klar ist Wurden Reden wie das Lob der Fliege wirklich gehalten? Und wenn ja,auch außerhalb der Rhetorenschule und vor welchem Publikum? Waren die Dialogsammlungen für die Lektüre bestimmt, oder für einen Vortrag, womöglich mit verteilten Rollen, oder vielleicht gar für eine dramatische Inszenierung? Die angedeutete Vielfalt produktions-wie rezeptionsästhetischer Möglichkeiten lässt sich besser verstehen, wenn man einen Blick auf das soziokulturelle Umfeld wirft, in dem und für das Lukian schreibt Die griechische Oberschicht des römischen Imperiums im 2. Jh. n. Chr. behauptet gegenüber den römischen Herren der Welt eine kulturelle Überlegenheit, für die das Schlagwort paideza,
doi:10.1515/9783110921892.227
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