Multikulturelle Schule?

Hans-Peter Füssel
1994 Kritische Justiz  
Das bayerische Volksschulrecht mit der christlichen Gemeinschaftsschule als ausnahmsloser Regelschule wird in der vorherrschenden Theorie und Praxis nach wie vor noch verstanden auf der Grundlage der möglicherweise noch volkskirchlichen Situation des Jahres 1968, in der es letztmals verfassungsgesetzlich festgeschrieben wurde. Der gegenwärtige Befund entspricht weder in wesentlichen Einzelheiten den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Grundgesetzes in der maßgeblichen Interpretation durch
more » ... as Bundesverfassungsgericht noch der veränderten Bekenntnishaltung eines immerhin schon erheblichen Bevölkerungsanteils. Man wird deshalb jedenfalls auf eine stärkere Verfassungstreue im Schulrecht drängen müssen. Ist dies gewährleistet, könnten es selbst die veränderten Umstände erlauben, bei der christlichen Gemeinschaftsschule als der einzigen Schulart stehen zu bleiben, wenn man sich nur darüber einig ist, daß ihre Christlichkeit säkularisiert ist und jenseits aller Verbindlichkeit wie aller Konfessionalität steht. Nur wenn man sich mit dem säkularen Charakter der christlichen Gemeinschaftsschule vorbehaltlos abfindet, wie er vom Bundesverfassungsgericht vorgezeichnet wurde, und die Anforderungen des Grundgesetzes ernst nimmt, wird man künftig Störungen des religiös-weltanschaulichen Friedens vermeiden können, mag man äußerlich an der irreführenden Bezeichnung >christliche< Gemeinschaftsschule festhalten oder nicht. Immerhin: die Minderheiten, auf die man früher glaubte, keine Rücksicht nehmen zu müssen, oder von denen man annahm, sich ihrem >Diktat< nicht beugen zu können 89 , sind dabei, über den Stand marginaler Randgruppen hinauszuwachsen. Man wird im Schulrecht nicht mehr an ihnen vorbeigehen können. Und man wird hoffen dürfen, daß neue Mehrheiten, so sie sich bilden, mit neuen Minderheiten toleranter verfahren, als dies bislang im Schulrecht der Fall war. Der im Schulwesen häufig gehörte Satz, es sei nicht möglich, allen Bedürfnissen gerecht zu werden, könnte sich gegen diejenigen wenden, die bislang unter Berufung auf ihn ihre Interessen unnachsichtig durchzusetzen gewußt haben. Nur ein Mangel an Phantasie und Voraussicht hat sie davor bewahrt, rechtzeitig zu erkennen, daß auf seiner Grundlage befriedigende dauerhafte Verhältnisse nicht erreicht werden können . Hans-Peter Füssel Multikulturelle Schule? Schulrechtliche Auseinandersetzungen vor deutschen Gerichten haben in der Vergangenheit eigentlich nur dann das Interesse einer breiteren -auch juristischen -Öffentlichkeit gefunden, wenn es um Fragen der Schulstruktur ging. Streitigkeiten um die Rechte einzelner Schüler oder Schülerinnen verließen den Kreis der unmittelbar Betroffenen nur selten I. 89 Vgl. Meder (Fn. 4') Art. '35 Rn. 5 unter Hinweis auf v. Campenhausen, Erziehungsauftrag und staatliche Schultragerschaft, 1967, S. 154; ähnlich BayVerfGH 20, 125h34, die eine eigenwillige Einstellung erken· nen lassen: die Rucksichtnahme der Minderheit auf die Bedürfnisse der Mehrheit ist die verfassungsgewollte Toleranz, die Rücksichtnahme der Mehrheit auf die Minderheit ist dagegen nicht zumutbar, weil dies auf ein Minderheitendiktat hinauslaufen würde. So sollten Burger auch im Schulrecht nicht miteinander umgehen. Zum Mißbrauch des Toleranzgedankens Renck, JuS 1989, 451. , Ausnahmen wie erwa Sterze I (Versammlungsfreiheit und Anwesenheitspflicht in der Schule, KJ 1989, 307) bestatigen die Regel.
doi:10.5771/0023-4834-1994-4-500 fatcat:hk3r7kd22vbuljabigg2yz4ohq