Gegen den Versuch, das Arzttum zu zerstören
Rolf Adler
2018
Bulletin des Médecins Suisses
Gegenstand dieses Artikels ist ein Verwaltungsgerichtsurteil in einem Rückfor derungsprozess. Darin wird festgehalten, welche Behandlung psychosomatischer Patienten im Rahmen der OKP nicht zu den von einem Arzt zu erbringenden Leis tungen zählt. Bei dieser Betrachtung geht es dem Autor nicht um die Klärung der Frage, wie gut der Patient ärztlich versorgt worden ist. Das Urteil hält fest: Es gehört zur Behandlung psychosomatischer Patienten im Rahmen des OKP nicht zu den von einem Arzt zu
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... enden Leistungen: a) Alltagssorgen zu besprechen; b) Anteilnahme auszusprechen; c) Patienten auf deren Wunsch hin zu beraten und zu bedauern; d) Ansonsten nicht erhältliche Zuwendung zu spenden; e) Lebensberatung zu gewähren. (Anmerkung des Autors: Der Einfachheit halber habe ich jede dieser Feststellungen mit den Buchstaben a bis e bezeichnet.) Zuerst zum Begriff «Psychosomatik» Der Begriff ist von Heinroth (1773 bis 1843) eingeführt worden und schon jahrzehntelang obsolet, denn er beruht auf der zu einfachen Vorstellung, psychische Ursache -soma tische Folgen. Seit 1977 und dem Arti kel Engels in Science [1] denken und handeln wir als Forscher und Kliniker im biopsychosozialen Konzept: Ein Individuum ist hierarchisch aufgebaut. Die Ebenen reichen vom Molekularen bis ins Soziale. Soma tische, psychische und soziale Faktoren wirken ineinander. Dabei geht es um Koppelungen und Entkoppelungen der Faktoren auf den verschiedenen Ebenen und zwi schen diesen, mit der Frage, ob Gesund heit erhalten bleibt oder Krankheit entsteht [2, 3]. Die Aufgabe des Arztes besteht darin, die somatischen, psychischen und sozialen Faktoren in ihren Zusammenhängen zu erfassen, zu gewichten und dar aus Handlungsanwei sungen fürs ärztliche Tun abzuleiten. Schon der Neuro chirurg Harvey Cushing (1869-1939), der übrigens bei Theodor Kocher in Bern gearbeitet hat, hielt fest, dass der Arzt nicht nur die Krankheit, sondern den Men schen mit seiner Krankheit, und nicht nur diese bei den, sondern den Menschen mit seiner Krankheit in seiner Umwelt zu erfassen hat. Die Verfasser des Ge richtsurteils hinken also um hundert und mehr Jahre heutigen Erkenntnissen nach.
doi:10.4414/bms.2018.06783
fatcat:7suto7cvqnglteurab5wtb4uce