Zur Theorie und Praxis im universitären Kontext

Anita Fetzer
2015 Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht  
Viele britische und deutsche Universitäten und Fachhochschulen bieten für ihre Studierenden obligatorische Lehrveranstaltungen zur conversation oder oral communication an, innerhalb derer die Vermittlung und Anwendung der gesprochenen Sprache im Vordergrund des Unterrichtsgeschehens steht. Die Verankerung dieser Kurse im Curriculum ist im Prinzip durchaus begrüßenswert, leider ist jedoch die Mehrzahl der in der Praxis stattfindenden Lehrveranstaltungen vom pragmatischen und diskursanalytischen
more » ... tandpunkt durch eine als paradox zu bewertende Situation charakterisiert, die daraus resultiert, daß hier etwas institutionalisiert ist, was sich 'im normalen Verlauf der Ereignisse' ohne einen formalen Rahmen ergibt. Für alle KommunikationsteilnehmerInnen bedeutet diese Institutionalisierung, daß eine Situation, die sie zuvor im Alltag als unstrukturiert wahrgenommen haben, und in der sie problemlos nach der Maxime "Sei spontan!" handeln konnten, zu einer kommunikativen Herausforderung wird. Diese neue Situation ist aus den folgenden Gründen anders strukturiert als eine alltagssprachliche Konversation: -Das Diskursthema ist in der Regel nicht mehr frei verhandelbar. Der Redewechsel (turn-taking) ist nicht mehr frei gestaltbar, d. h. die Sprecher wählen nicht mehr selber (speaker self-selection), sondern der Sprecherwechsel ist institutionalisiert und somit vorgegeben. Es gilt nicht die Regel, daß die gegenwärtige SprecherIn die neue SprecherIn wählt (current speaker selects NEXT), da der Redewechsel von der Lehrkraft initiiert und ratifiziert wird. Die Gesprächspartner sind nicht mehr frei wählbar, denn die KursleiterInnen sind ein fester Bestandteil der Kommunikationssituation und können nicht einfach ignoriert oder ausgeschlossen werden. Das aus dem turn-taking resultierende Phänomen der Überlappung (overlapping), das ebenfalls regulierend wirkt auf den Redewechsel und u. a. die Funktion hat, soziale Nähe zum Ausdruck zu bringen, entfällt im Rahmen der Konversationsstunden ebenfalls. Den aus dem modifizierten Redewechsel resultierenden Pausen ist eine kommunikative Signifikanz zuzuschreiben, d. h. sie werden dahingehend interpretiert, daß ein potentielles Problem in der Kommunikation vorliegt.
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