Verbale Indirektheiten beim Diskursdolmetschen am Beispiel des Sprachenpaars Polnisch–Deutsch [book]

Agnieszka Will
2015 unpublished
___________________________________________________________________________ Agnieszka M. Will mit einem Vorwort von Dr. Christoph Hartmann Wichtige Hinweise: Die nachfolgende Arbeit ist ohne Vorwort als Dissertation an der Universität Heidelberg im Juli 2014 vorgelegt und im Mai 2015 im Peter Lang-Verlag unter demselben Titel veröffentlicht worden. Bitte verwenden Sie bei Zitaten die Seitenangaben der durch Peter Lang formatierten und veröffentlichten Print-oder Digitalversion der Arbeit.
more » ... forderungen in der internationalen Geschäftskommunikation am Beispiel Deutschland Polen -Erfahrungen aus der Praxis Von Dr. Christoph Hartmann Wirtschaftlich erfolgreich in internationalem Umfeld zu sein, bedarf neben der Sprachkenntnis auch des Wissens über die entsprechenden ausländischen Zulieferer-, Arbeitsund Absatzmärkte sowie über die rechtlich relevanten Aspekte. All dies ist aber nicht hinreichend, wenn zwei miteinander eng verknüpfte Themenfelder außerhalb des Fokus bleiben: die Mentalität und die damit verbundene Kommunikationsweise. Ich wurde in Deutschland sozialisiert, habe studiert und promoviert und war dort erfolgreich wirtschaftlich und politisch tätig -und übernahm dann in Polen die Aufgabe, ein Schlosshotel zu leiten. Die oben beschriebenen Aspekte waren mir nicht geläufig. Nicht nur einmal reagierte das polnische Umfeld -ob Mitarbeiter, Zulieferer oder Gäste -aus deutscher Sicht unverständlich. Die Erkenntnis, dass Kommunikation beim östlichen Nachbarn anderen Regeln folgt und diese daher weit mehr als die wörtliche Übersetzung eines Satzes in die fremde Sprache notwendig machen, wurde mir im Laufe meiner Tätigkeit immer offensichtlicher. Aussagen von in Deutschland sozialisierten Personen sind normalerweise von einem hohen Grad an sprachlicher Verbindlichkeit gekennzeichnet. Anders formuliert: Eine Aussage ist häufig wörtlich zu nehmen. Diese hohe Form der sprachlichen Verbindlichkeit existiert in Polen in dieser Form nicht. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der polnische Kommunikationspartner der Meinung ist, durch seine Äußerung die andere Seite kränken oder sogar desavouieren zu können. Insofern wird eher eine 'politische' Aussage zu erwarten sein -angedeutet, umschreibend, indirekt. Eine konkrete Erfahrung soll Obiges illustrieren: Zu Beginn meiner Tätigkeit in Polen fand ein Gesprächstermin der Leitungsebenen der Schlosshotels im Hirschberger Tal unter Anwesenheit einer deutschen PR-Agentur statt, um die Möglichkeiten einer gemeinsamen Vermarktung in Deutschland zu prüfen. Die Redebeiträge wurden in die jeweils andere Sprache konsekutiv gedolmetscht. Es hatte in der Vergangenheit schon wiederholt Versuche einer gemeinsamen Vermarktung gegeben, die ohne Ergebnis geblieben waren. Nachdem die Agentur ihre Ideen präsentiert hatte, schlüpfte ich in die Rolle des 'Advocatus Diaboli', artikulierte dies und sprach mögliche Gründe an, die aus der Sicht des einen oder anderen gegen eine Kooperation sprechen könnten. Insbesondere bei einem Teilnehmer hatte ich Zweifel ob seiner Teilnahme, da er Inhaber eines Nicht-Schlosshotels war. Die Reaktion der Anwesenden schwankte zwischen Ablehnung und völligem Unverständnis. Meine vorgetragenen Argumente seien falsch; alle Anwesenden würden mitmachen. Man versuchte, mich zu überzeugen, sich der Kooperation nicht zu verweigern. Meine Aussage, ich wolle in der Rolle des Advocatus Diaboli agieren, war als Schutzbehauptung wahrgenommen worden, um die von meinen Gesprächspartnern bei mir vermutete preiszugeben: sich nicht an der Kooperation zu beteiligen. Der von mir persönlich angesprochene Hotelinhaber beteuerte seine Teilnahme trotz meiner vorgebrachten Argumente. Nach einigen Wochen ergab der Rücklauf der Teilnehmer, dass es zwar zu einer Zusammenarbeit kam, allerdings nicht jeder, der in besagter Veranstaltung seine Mitarbeit avisiert hatte, auch wirklich zu der Kooperation bereit war. Insbesondere der von mir persönlich angesprochene Inhaber versagte seine Teilnahme. Mein Vorgehen war nicht von Erfolg gekrönt. Das Ziel, alle Schlösser zur Kooperation zu bewegen, war nicht erreicht worden, zudem war ich auf völliges Unverständnis von Seiten vieler Teilnehmer gestoßen, war falsch interpretiert worden und hatte sogar augenscheinlich einige desavouiert. In dieser gedolmetschten Situation kam es offenbar durch die rein wörtliche Übertragung der Redebeiträge ohne Beachtung der Mentalitätsunterschiede der Anwesenden -weder durch den Dolmetscher noch durch mich als den Absender von Botschaften -zu Missverständnissen, zum suboptimalen Verlauf des Geschäftsgesprächs und letztendlich zu keinem erfolgreichen Ergebnis. Agnieszka Will analysiert im vorliegenden Werk eindrucksvoll, wie sich unterschiedliche Kommunikationsstile verschiedener Kulturkreise am Beispiel Deutschlands und Polens auswirken und welche Herausforderungen für den Dolmetscher 'als Vermittler zwischen den Kulturen' zukommen. Hierbei geht sie insbesondere auf die Frage ein, wie sich verbale Indirektheiten äußern und wie Dolmetscher mit dem beschriebenen Phänomen umgehen (können)
doi:10.3726/978-3-653-05844-4 fatcat:72l5ba5i7jd7lneyytvyjhtrti