NS-Architektur und Stadtplanung als Herausforderung für die Kunstgeschichte
Andrea Bärnreuther, Kritische Berichte-Zeitschrift Für Kunst- Und Kulturwissenschaften
2013
Kunst und Architektur der NSZeit haben der Kunstgeschichte die größten P roble me ihrer Wissenschaftsgeschichte bereitet. Ihre Behandlung tangierte empfindlich die drei wissenschaftstheoretischen Grundfragen der Disziplin: nach ihren Gegen standsbereichen, ihren Methoden und ihren Zielen. Für die Interdependenz der äs thetischen, ideologischen, politischen und ökonomischen Elemente des Systems bot sich kein angemessener disziplinarer Zugriff an. Diese P robleme sollen sich nun endlich erledigt
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... aben, folgt man Berthold Hinz, einem der Pioniere dieser Thematik, der nach dem Zusammenbruch des sozia listischen Systems zu umfassenden Revisionen aufgerufen hat: »Wenn diese philoso phischdualistische Vergangenheit vergangen ist, und zwar nicht nur ... als deutsche Frage sondern in ihrer universalen Existenz, ist die Frage nach dem künstleri schen Nachlaß beider Seiten ihres metaphysischen Hintergrundes beraubt. Es ist theoretisch die Situation erreicht, die es Kant um 1790 erlaubte, die Bestim mungsgründe des Ästhetischen an die Uninteressiertheit und Zweckfreiheit der Wahrnehmung zu knüpfen [. Anders ausgedrückt: Mit der Auflösung des Anta gonismus FaschismusAntifaschismus, die dialektisch aufeinander bezogen werden, hätten die künstlerischen Relikte des Nationalsozialismus wie der DDR ihre identi tätsstiftende Wirkung verloren. Damit sei der letzte Posten, der im Fach ein kriti sches, das heißt politisches Ziel verfolgt habe, gefallen. Und nicht nur dies, für eine die Grenzen des Fachs überschreitende Kritik gäbe es auch keine Berechtigung mehr. Die neue Devise heißt »Aneignung«: »Der Umgang mit den fraglichen Denk mälern obliegt dem historischen Auftrag der Landesämter für Denkmalpflege, der Umgang mit den Künsten dem guten, dem >uninteressierten< Geschmack, aber auch dem Taktgefühl, das den Opfern >bis ins zweite und dritte Glied< zusteht.« Abgesehen davon, daß die von Hinz reklamierten Revisionen zu diesem Zeit punkt längst in Gang waren, stellt sich angesichts der kulturellen Transformations prozesse des 19. und 20. Jahrhunderts doch erst einmal die grundsätzliche Frage, ob die allgemeine Idee der Kunstgeschichte, die als ästhetischkultureller Überbau der Sieger von 1789 entstanden, am Ende des bürgerlichen Zeitalters noch evident ist. 2 Hat nicht gerade die kunstwissenschaftliche NSForschung, die sich im Spannungs feld von historischen P rämissen und zeitgenössischen Fragestellungen bewegte, ge zeigt, wie notwendig es ist, Aufgaben und Ziele der Disziplin neu zu definieren? Die Kunstgeschichte wird nur noch dann eine kognitive Funktion wahrnehmen können, wenn sie sich auch als kritisches Bewußtsein ihrer Zeit versteht. Läßt man die kunstwissenschaftliche NSForschung Revue passieren 3 , so wird deutlich, daß die Kunstgeschichte sich nie mit dem Bestand der geschichtlichen Kunst deckt, sondern immer nur ein Bild ist, das man sich von ihr gemacht hat. Die ses Bild ist dem Wandel der kulturellen Strömungen ausgesetzt. In den siebziger Jahren standen sich im wesentlichen zwei Denkmodelle gegen über: zum einen das traditionelle, das sich auf die Idee der Autonomie der Kunst gründete, zum anderen das ideologiekritische, das die materiellen Bedingungsfakto ren in den allgemeinen Bezugsrahmen der Interpretation einbrachte und die Kunst werke überbautheoretisch zu erklären suchte. Mit unterschiedlichen Methoden wur kritische berichte 3/94
doi:10.11588/kb.1994.3.10551
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