Kommentare zum "Soldatenurteil"
Erhard Denninger, Winfried Hassemer
1990
Kritische Justiz
Es ist ja kein "Soldatenurteil «, es sind -wenn man das Kürzel akzeptiert: schließlich könnte man beispielsweise auch von "Pazifistenurteil« sprechen -ihrer vier. Bis jetzt, und ein Ende ist noch nicht in Sicht: Das Amtsgericht -Schöffengericht -Frankfurt am Main hatte den Angeklagten am 4.9.1986 wegen Volksverhetzung ( § 130 StGB) in Tateinheit mit Beleidigung ( § 185 StGB) zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen (a DM 70) verurteilt. Die 14. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main hat
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... as mit der Berufung angefochtene Urteil am 8.12.1987 aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen . Das OLG Frankfurt am Main hat das freisprechende Urteil am 2. 12.1988 aufgehoben und die Sache an eine andere Strafkammer zurückverwiesen, welche (es war die 29.) den Angeklagten am 20.10.1989 wiederum freisprach. Lohnt sich ein solcher Aufwand? Das hängt vom Gesichtspunkt ab. Sicher nicht gelohnt hat er sich für jenen Mann in Flensburg', der nach Lektüre des Frankfurter Freispruchs einem Soldaten Entsprechendes sagen zu dürfen glaubte: "Sie sind Soldat, und Soldaten sind alle potentielle Mörder«, und der dann vom Amtsgericht über das Landgericht Flensburg bis zum Oberlandesgericht Schleswig dahingehend belehrt wurde, daß dies dort als Beleidigung gilt und aus dem Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht zu rechtfertigen ist'. Vermutlich nicht gelohnt hat er sich für das Ansehen der Justiz in der Öffentlichkeit und für die Erwartung, verantwortliche Politiker würden dieses Ansehen, wenn schon nicht mehren, so doch auch nicht beschädigen). Ob er sich für die Anhänger der militärischen Abschreckung oder des Pazifismus, für den Beschuldigten oder die Nebenkläger, gelohnt hat, wird sich, wenn überhaupt, erst auf lange Sicht beantworten lassen . Den beteiligten Richtern jedenfalls, die von offizieller Seite etwa mit dem Vorwurf der Rechtsbeugung, von anonymer Seite etwa mit Todesdrohungen konfrontiert waren, mußte sich die Frage aufdrängen, warum man heute und hier für die Auslegung des Strafgesetzbuchs so viel Mut braucht 4 • I FAZ v. 28.11. 1989, 5.4. 2 Daß die Genchte emen Verbotsirrtum ( § 17 stGB) des Mann es ernsthaft 10 Erwägung gezogen hätten, läßt s,ch der Meldun g nI cht entnehmen. 3 Saiger, Vizepräs.dent des BGH und Vorsitzender des 4· StS, hält es wegen der öffentlichen Angriffe auf das .. Soldaten urteil . und seme Richter gar für möglich, daß das OLG Frankfurt als das zuständige RevlslOnsgencht dem AngekJ. kein faires Verfahren mehr garantIeren kann (ZRP 1990, 29 L). 4 IntervIew mit der Benchterstattenn der 29. StrK des LG Frankfurt, 10: Neue RichterVereInIgung, LV Hessen, 2h990, s. IOff. 359
doi:10.5771/0023-4834-1990-3-359
fatcat:3nv4jzdribejpjoidkfcmufrcm