Weltumspannende Vernichtungsfantasien

Lukas Daum, Fachinformationsdienst Für Internationale Und Interdisziplinäre Rechtsforschung
2023 Verfassungsblog: On Matters Constitutional  
In seinem jüngst veröffentlichten Gutachten zum documenta fifteen-Skandal schreibt Christoph Möllers, dass er Kunstformen, "die sich antisemitischer oder rassistischer Stereotype bedienen", nebeneinander behandeln könne, "weil die Unterschiede zwischen Rassismus und Antisemitismus jedenfalls nicht auf den Umstand ihrer verfassungsrechtlichen Missbilligung hinüberwirken, die für beide gilt und für beide an gleicher Stelle verankert ist". 1) Das mag der Mehrheitsmeinung unter
more » ... nnen entsprechen. Aus der Perspektive der Antisemitismusforschung verdeckt eine solche same standards-These 2) jedoch gerade das, was den modernen Antisemitismus ausmacht. Deshalb sollten wir erwägen, bei seiner rechtlichen Bekämpfung dogmatisch neue Wege zu gehen. Die Ausgangslage, so muss man eingangs zugestehen, könnte freilich kaum verworrener sein. Rassismusvorwürfe sind mancherorts Reflexe, um Antisemitismus zu tabuisieren. 3) Und Antisemitismusverdächtigungen dienen auch schon einmal dazu, rassistische Verhaltensweisen zu relativieren. Dass in der aktuellen Debatte nun noch die Kunstfreiheit (mit-)verhandelt wird, hat die Situation nicht weniger dialektisch gemacht -im Gegenteil: Öffentlicher Kritik an einer "Zensur" bzgl. als antisemitisch klassifizierter Kunstwerke stehen die Perspektiven jüdischer oder israelischer Künstler:innen gegenüber, die ganz regelmäßig mit Boykottaufrufen konfrontiert sind (etwa aus dem BDS-Umfeld).
doi:10.17176/20230222-151733-0 fatcat:3wlhpjtujbccpjouqviog3l63u