Eva Hohenberger (Hg.): Bilder des Wirklichen. Texte zur Theorie des Dokumentarfilms

Eike Wenzel
1998
Hg.): Bilder des Wirklichen. Texte zur Theorie des Dokumentarfilms 155 Berlin: Vorwerk 8 1998 (Texte zum Dokumentarfilm 3, hg. v. Europäischen Dokumentarfilm Institut), 340 S., ISBN 3-930916-13-4, DM 36,- "Es gibt keinen Dokumentarfilm ... " (S.304) -damit beginnt ein Text der Filmtheoretikerin und Regisseurin Trinh T. Minh-ha. Er steht am Ende der vorliegenden Anthologie, die es sich, so der Untertitel des Bandes, vorgenommen hat, "Texte zur Theorie des Dokumentarfilms" dem deutschen Publikum
more » ... äher zu bringen. Es gibt keinen Dokumentarfilm als einheitliches Genre, aber es gibt die lebendige Tradition des dokumentarischen Films. Die haarspalterische Unterscheidung erhält ihren Sinn vor dem Hintergrund einer Wahrnehmungskultur und -industrie, die von der Aufrechterhaltung der Grenzen zwischen fiktionalem und nicht-fiktionalem Filmemachen profitiert. Dokumentarfilme -das sind Bilderdienste, die für die späten Sendezeiten des Fernsehens zur Verfügung stehen und sich an unverbesserliche Intellektuelle und Schlafgestörte richten. Spielfilm dagegen ist Kino, auch dann, wenn es im Fernsehen zu sehen ist, eine Welt für sich, aber wirklicher als die Wirklichkeit. Der Dokumentarfilm hatte in den letzten Jahren mit dem Vertrauensschwund in die Bilder angesichts ihrer Digitalisierbarkeit umzugehen. Eine willkommene Gelegenheit für fortsch1ittliche 'Medientheoretiker', sich zurückzulehnen und zynisch jeden Versuch, sich mit der Kamera der Wirklichkeit auszusetzen, mitleidig zu belächeln. Es gab ja die Rede von der Agonie des Realen, dem Verschwinden der Wirklichkeit in den getürkten Fernsehbildern. Und es gehörte zum intellektuellen Chic, mit der Kritik an der Abbildbarkeit der Welt (was ernsthaft wohl nie ein Dokumentarfilmer behauptet hat) diese als geschichtlich-materiales Faktum gleich mit zu verabschieden. Nun läßt sich in letzter Zeit eine erneute Hinwendung zum dokumentarischen Film beobachten. Überhaupt stehen Diskurse, die sich mit Bildern und Dokumenten der nicht-fiktionalen Wirklichkeit befassen, wieder höher im Kurs. Erleben wir nach den nervenden und phantasielosen Selbstbefragungen des Mediums in den achtziger Jahren eine Renaissance der Wirklichkeit? Die von Eva Hohenberger herausgegebene Textsammlung (weswegen sie Bilder des Wirklichen getauft wurde, ist mir unklar, man hätte es auch beim sachlichen Untertitel bewenden lassen können) mag von der Wiederentdeckung des Dokumentarfilms nach dem Ende des Posthistoire inspirie11 gewesen sein. Sie umfaßt nicht weniger als siebzig Jahre des Nachdenkens und Debattierens über den Dokumentarfilm. Ein gewagtes Unterfangen, wo die Theoriehegemonien mittlerweile
doi:10.17192/ep1998.2.3328 fatcat:a2to5cf6rbcrje4l2rvyhly2l4