Prohairesis in der Philosophie Epiktets [chapter]

M. Forschner
2019 Willensfreiheit  
Epiktet verwendet das Wort "prohairesis" in verschiedener Bedeutung. Je nach Kontext ist von der Fähigkeit oder dem Akt der Wahl bzw. Entscheidung die Rede oder der festen Disposition, sich auf bestimmte Weise zu entscheiden. Er sieht in der Entscheidungsfähigkeit das Wesentliche der Vernunftfähigkeit, weil er sowohl im Denken wie im Streben die Souveränität ihrer Entscheidung ins Zentrum rückt. Für Aristoteles ist prohairesis genuin menschliches Prinzip des Handelns; er beschränkt sie auf den
more » ... ereich menschlicher Praxis. Epiktet macht sie dagegen zu einem Prinzip der Annahme aller Gedanken; für ihn beruhen alle unsere Überzeugungen, ja auch unsere Emotionen auf freien Stellungnahmen zu Eindrücken und Sachverhalten. Dies erklärt, warum er prohairesis geradezu mit unserem Selbst in eins setzen kann. Aristoteles bestimmt prohairesis als auf Erwägung beruhendes Streben nach dem, was in unserer Macht steht, was in der Welt durch uns ausführbar und für uns relevant ist. Für Epiktet hingegen wird prohairesis mit ihren intentionalen Objekten und Impulsen das einzige, was (absolut) in unserer Hand ist; Freiheit wird zur Sache mentaler Einstellung und Akte. In opere hominis duo est invenire: scilicet electionem operum, et haec semper in hominis potestate consistit; et operum gestionem sive executionem, et haec non semper in potestate hominis est, sed divina providentia gubernante, propositum hominis ad finem quandoque perducitur, quandoque vero non. Et ideo homo non dicitur esse liber suarum actionum, sed liber electionis, quae est iudicium de agendis. Et hoc ipsum nomen liberi arbitrii demonstrat. Thomas von Aquin, Quaestiones disputatae de veritate, quaest. 24, art. 1 ad 1 Der Begriff der prohairesis ist einer der zentralen Begriffe in der Philosophie Epiktets. Er kommt in den von seinem Schüler Arrian referierten Diatribai und dem Encheiridion insgesamt 75mal vor. 1 Und die von prohairesis abgeleiteten Adjektiva prohairetikos und aprohairetos werden, wenn ich recht zähle, an 51 Stellen, und dort zum Teil gleich mehrfach verwendet. Der Begriff steht im Kontext des Anliegens, das
doi:10.5771/9783465143444-83 fatcat:ett6gt3asfeftaj6vvzkz7lvsa