Probleme der experimentellen Psychologie

K. Koffka
1917 Die Naturwissenschaften  
Spricht man mit ,einem Physiker t'tber Psychologie, so fallen ibm gewShnlich zwei Gruppen yon Tatsachen ein: die Tatsachen der absoluten Schwelle un4 der Unterschiedsschwelle mit dem Weber-Fechnerschen Gesetz und die Tatsachen der Assoziation, j.ene ein Fall der Gesetzlichkelt zwischen physikalischer und psychologischer Welt, diese als Grundgesetzlichkeit der Aufeinanderfolge in der psychologischen Welt. Tatsiichlich kennt und verwendet der Fhysiker eine Reihe weiterer Tatsachen aus dem Gebiet,
more » ... das man auch Sinnespsychologie nennt, das aber gewShnlich als Sinnesphysiologle bezeichnet und daher veto Naturwissenschaftler hiiufig gar nicht zur Psychologie geziihlt wird; in dies umfassende Gebiet gehSren ja auch die Tatsachen der Schwellen; wir wollen zz~r Bezeichnung des gesamten Gebietes von Wahrnehmungspsychologie sprechen. Analog geh~Srt der Problemkreis der Assoziation in das umfassendere Gebiet der Gediichtnispsychologle. Auf beiden Gebieten sind in neuerer Zeit wesentliche Fortschritte gemacht worden, die, was Methode, wie was Resultate betrlfft, in anderer ttlchtung ]iegen als die ~ilteren Ergebnisse der Sinnesphysiologie und Assozlationspsychologie, auf denen im allgemeinen psycho]ogische Kenntnisse und Anschauungen der Physiker beruhen. Wir wollen im folgenden diesen Prozel] verfolgen und versuchen, auf diese Weise den Physiker in die heutige psychologisehe Forschung einzufiihren. So hoffen wir gleichzeitig besser als durch allgemeine ErSrterungen den l~aturwissenschaftlern zelgen zu kSnnen, dal~ die Psychologie nach naturwissenschaftlicher Methode arbeitet, und wie sie diese ]k~ethode ihren Zielen angepal~t, fiir ihre -Zwecke ausgebildet hat. I. Die UnterschiedsschweIle. Wir w~ihlen als erstes Beisl~iel die Untersehiedsschwelle, well dies Geble~" dem Physiker besonders nahe liegt, lqattirlich haben wir uns in unserer Darstellung auf prfignante 'Ausschnitte be-schr~inkt, Vollstiindigkeit in keiner Weise angestrebt. Die Begriffe der absoluten und der Unterschiedsschwelle sind dem Physiker ge]iiufig. Die Erkliirung der absoluten Sehwelle bietet ihm auch wenig Schwierigkeit: genau wie jedes physlkallsche Instrument ein Minimum yon Energie ver-]angt, wenn es einen Ausschlag geben sell, so auch die Sinnesapparate. Kl~irt diese Analogie die Intensitiitsschwelle, so gibt es auch fiir die Grenzen des sichtbaren Spektrums und der Tonreihe rein physikallscho Analogien: nicht alle Str~hlen erzeugen Fluoreszenz, sondern nur solche unter einer bestimmten WelIenliinge. Sehr viel komplizierter steht es mit der Unterschiedsschwelle. Kann man bier analog sagen" zwei Reize miissen eine Mindestverschiedenheit besitzen, wenn zwel versehiedeno Empfindungen entstehen sollcn ~ Die physikalische Analogie kann bier so Hilfe leisten: Ich belaste eine Wagschale mit einem Gewicht, sagen wir mit 1 mg, die Wage wird'dann einen Ausschlag geben; in einem zweiten Versuch belaste ich die gleiche Wagschale mit einem Gewicht, das sich yon dem ersten um sehr wenig unterscheidet, also mit i mg ~-10 -n rag, wobei n beliebig groB genommen werden mSge. Der Fhysiker wird dann sagen: theoretisch gibt die Wage im zweiten Fall einen anderen Ausschlag als im ersten, abet der Unterschied ist bei geniigend groflem n kleiner als meine Beobachtungsfehler, ich kann ihn also nicht bemerken. Auf die Unterschiedsschwelle iibertragen besagt das: ,nsere versuchsweise aufgestellte Definition ist falsch; zwei Reize miissen elne Mindestverschiedenheit besitzen, nicht damit, wie wit sagten, zwei verschiedene Empfindungen entstehen, sondern damit zwei als verschieden bemerlcbare Empfindungen entstehen. Damlt ist die Erkliirung der Unterschiedsschwelle total anders ausgefallen als die der absoluten Schwelle. Bei dieser lag es so: das 2qichtbemerken eines physikalischen Vorgangs wurde dureh die Schwelle erkl~rt, der Organismus sprach auf den 1Reiz nicht an. Bel dot Unterschiedsschwelle wiirde es, wenn man unserer physikalischen Analogie folgt, anders liegen: auch sie sell ja erkliiren, warum etwas im Physikalischen, diesreal eine Verschiedenheit, nicht bemerkt wird, sie wird nun aber selber wieder dadurch erkliirt, dab E, mpfindungsunterschiede, nicht bemerkt werden. Die Frage, warum eia Nichtbemerken stattfindet, ist also beider absoluten Schwelle vollstiindig erkliirt, bei der Unterschiedsschwelle noch nicht, es scheint bier nur ein Zuriick~chieben des Problems vorzuliegen. Trotzdem ist diese Theorie der Unterschiedsschwel]e yon hervorragenden Psychologen vertreten worden, well sie ihnen a]s die allen Tatsachen am besten angepal]te erschien. Das "Bemerken ~c wurde dann, da es ja mm nicht nur ein zu erkl~irendes war, sondern auch ein Erki~irungsprinzip wurde, als psyehische Funktion angesehen, die sich Nw. I~lT. 1
doi:10.1007/bf02448613 fatcat:seq6gcykrjfzhk53tfqclp57ba