In welchen Fällen ist man berechtigt, eine abortive Form der Wutkrankheit anzunehmen?

V. Babes
1910 Medical Microbiology and Immmunology  
Es sei mir gestattet, infolge der interessanten Mitteilung J. Kochs 1 die Gelegenheit zu ergreifen, diesen Gegenstand sowie andere hiermit zusammenhiingende Fragen, fiber die ieh ein reiehliches Erfahrungs-und Versuchsmaterial besitze, welches zum Teil wenig bekannt oder noch nicht verSffentlicht ist, zu besprechen. I. Abortive Wut beim ]~Ienschen. Zun~chst wollen wir uns fragen, ob es bisher sicher beobaehtete Falle yon tIeilung der mensehliohen Wutkrankheit gibt. -0ber je mehr Erfahrungen,
more » ... tische und experimentelle Schulung man verffigt, desto mehr zSgert man, beim Mensehen geheilte FMle yon Wut anzunehmen. In der Tat stammen fast alle neueren derartigen Angaben aus der ersten Zeit der Wirksamkeit antirabischer Institute oder yon Autoren, welohe noch wenig Wutfalle beobachtet haben, w~hrend nach l~ngerer Erfahrung und bei reichliehem Krankenmaterial gewShnlich nichts mehr fiber solehe FAlle verlautet. Nun behauptet abet auch ein effahrener Forscher, J. Koch, g estiitzt auf zwei neuere F~lle, dal3 es abortive, also nicht tSdliche Wutf~Ule beim Menschen gibt. Der erste dieser F~lle wurde yon dem Kreisarzte Broll 2 beobachtet und macht aueh auf reich den Eindruck, dab es sich bier in der Tat t j. Koch, Uber abortive Tollwut. .Diese Zeitsc]~rift. 1909. Bd. LXIV. 2 TSpfer, .Berlin~ Wut~ehu~zabteilung. 1. Januar bis 31. Miirz 1906. Zeitschr. f. Hygiene. L~V 26 402 V. Bx~.s: um geheilte Wut gehandelt haben kSnnte. Allerdings ist bier weder die Wut des Hundes, noch die Virulenz des Speichels, welche allerdings bei Wut des Menschen nieht immer vorhanden ist, festgestellt worden. Ohne die Angaben des beobachtenden Arztes zu bezweffeln, will ieh mir aber bloB erlauben, daran zu erinnern, dab eben in betreff der Wutsymptome des Menschen Suggestion und Autosuggestion eine grebe Rolle spielen, so dab das Spriehwort "einmal ist keinmal" wenigstens insofern am Platze ist, als unter hunderttausenden F~illen yon Wut ein solcher Fall yon Heflung bisher sioher noch nieht beobaohtet wurde, und demnach SchluBfolgerungen aus diesem einzigen, wissensohaftlieh nicht genfigend festgestellten Falle einstweflen verfrfiht sin& Allerdings verSffentlicht 3. Koch auch einen eigenen Fall, welcher aber weniger beweisend ist. Zwar wurde der betreffende 9j~hrige Knabe yon einem wfitenden ttunde gebissen und erkrankte 3 Wochen darnaoh, doch sind die Symptome der Krankheit durchaus nizht charakteristisch. Es handelt sich vielleieht um ein gastrisches Fieber, mit Kopfschmerzen, Delirien, nervSser Sohw~ohe, etwas tIalsschmerzen, SpeiehelftuB und Erbreehen, wie dies ja bei Kindern h~ufig vorkommt. Allerdings kann auch die MSgliehkeit einer toxisohen Wirkung tier Schutzimpfung bier nicht ausgeschlossen werden. Es fehlen abet die charakteristisohen Zeichen der Wut, namentlich die Reflexkr~mpfe, die Phobien, welche nioht einmal angedeutet waren. Der Speichel wurde auf seine Virulenz ebenfalls nicht untersucht. Das be-st~ndige Fieber, der gute Schlaf spreehen ebenfalls gegen Lyssa. Solche F~lle sind demnach kaum geeignet, unsere bisherigen Erfahrungen umzusttirzen. Es ist offenbar wichtig, derartige F~tle zu verSffenthehen, doch daft man einstweilen aus denselben weder den SchluB ziehen, "dab dermit Wut infizierte Mensch in leiohter Weise (an Wut) erkranken kann", noch "dab weinerliche Stimmung, gedrficktes Wesen, Fieber, SpeichelfluB, Delirien, ttinf~lligkeit, namentlich bei Kindern oft eine abortive Form der Wutkrankheit bedeuten." II. Abortive Wut bei Tieren. a) Bei Kaninehen. Obwohl, wenn wir zur Feststellung der Wut Kaninchen subdural impfen, manchmal durch Sepsis Tiere naeh 1 bis 2 Tagen zugrunde gehen, fiihrt die Einf~hrung yon lqervensubstanz unter die Dura doch in etwa 95 Prozent der Fiille zum Ausbruch der Wut. Bei Impfung in die Rtickenmuskulatur sind aueh bei uns MiBerfolge ABORTIVE FORM DBR WUTKRXNKHEIT. 4o8 etwas hs Diese seltenen MiBerfolge sind wohl alien Wutforschern bekannt. Nun beobachtete J. Koch nach derartiger Impfung bei zwei Kaninchen, 5 bis 7 Wochen nach der Impfung Paralyse mit Blasenund Mastdarmls welche Symptome abet zurfickgingen. Dieser Forscher meint nun, dab bier "nichts fibrig bleibt, als diese F~lle als abortive Wut zu betrachten, da das infizierende Material yon wutkranken Tieren stammte." Nach meinen Erfahrungen ist diese SohluBfolgerung durchaus nicht zwingend, da es nicht selten vorkommt, dal3 Kaninchen, welohe nach verschiedenen Eingriffen l~ngere Zeit im K~fig gehalten werden, an Paralyse der hinteren Extremits 5fret mit Darm-und Blasenl~hmung erkranken, welche auch in Heilung fibergehen kSnnen. Wenn wit in solchen F~llen die Oblongata anderen Kaninchen einimpfen, bleiben dann natfirlich die Versuchstiere am Leben. Da in J. Kochs F~llen aber die Tiere sich erholten, wurde diese Probe auf Wut nicht gemacht, so dab es zweifelhaft bleibt, ob seine Kaninchen wirklich eine heflbare Wutinfektion durchgemacht haben. Es ist dies ganz gut mSglioh, abet nicht bewiesen. Derartige tSdliche L~hmungen kSnnen in seltenen F~llen in der Tat die Wutdiagnose erschweren. Auch naoh Impfung mit Staupematerial kSnnen nat~lich dera~tige nioht spezifische L~hmungen mit Blasen-und Mastdarml~hmungen vorkommen. Vielleicht erkl~rt sich der Unterschied zwischen B e ok 1 und Jirn off ~, welch letzterer bei nervSser Staupe diese L~hmungen bei Kaninchen nicht hervorrufen konnte, einfach dadurch, dat3 in den Versuchen Becks 1 diese yon mir beobachtete, nicht spezifische L[Lhmung des Kaninchens zuf~llig hs aufgetreten war. Die letztere entspricht in der Tat oft der Beschreibung Becks. Die Tiere magern ab, sie erkranken gewShnlich ohne Fieber, die hinteren Extremi-t~ten, oft zun~chst nut eine, sind gel~hmt. Bei seitlichem Anstol~en fallen die Tiere auf die SeRe und erheben sich schwer. 0fters sind aueh Blase und Mastdarm gels Die Tiere leben oft 4 bis 5 Tage, sterben aber hs plStzlich, oft unmittelbar nach dem Auftreten der L~hmung, kSnnen sich aber auch erholen. Nach den verszhiedensten Eingriffen, nach Einbringen yon selbst unsch~dlichen Stoffen, selbst spontan sieht man manchmal ein Tier nach dem andern an Paralysen iugrunde gehen. So babe ich vor kurzem bei einem Versuche, wobei ein der Subtilisgruppe angehSriger, nicht viru-
doi:10.1007/bf02284131 fatcat:gnki55lzwvgllo2ogbsmnetu3y