Die intravenöse Behandlung des Lupus vulgaris mit Aurum-Kalium cyanatum

Franz Poór
1913 Deutsche Medizinische Wochenschrift  
Bruck und Glück versuchten, gestützt auf die Mitteilung von Koch aus dem Jahre 1890, laut welcher die Verbindungen des Cyangoldes "in vitro" die stärkste Desinfektioriswirkung auf die Tuberke1bai11en ausüben, und den Nachweis von Behring , laut welchem das Cyangold noch in einer Verdiinnung von 1 : 2 000 000 bakterizid wirkt, im laufenden Jahre (19x3) auf der Klinik von Neisser das Mercksche Aurum-Kalium cyanatum in Fällen von Hauttuberkulose anzuwenden. In Fällen von ausgebreiteter
more » ... ose bietet natürlich gar keine Therapie Aussicht auf raschen Erfolg; denn, wenn durch die parasitropen Eigenschaften des Medikaments es auch gelingt, das Bacterium im Organismus unschädlich zu machen oder die natürliche Widerstandsfähigkeit des Organismus derartig zu steigern, daß die Bakteriengifte neutralisiert werden, kann auf ein sofortiges Schwinden der pathologischen Produkte aus dem Organismus dennoch nicht gerechnet werden. Auf einen raschen Erfolg rechneten Bruck und Glück schon bei Beginn ihrer Versuche nicht, und wir wären, ebenso wie sie, zurzeit zufrieden, wenn die unendliche Dauer der Lupusbehandlung durch das neue Heilverfahren wesentlich verkürzt und sicherer gestaltet wurde. Bruck und Glück wandten das Aurum-Kalium cyanatum in einer Dosis von 0,02-0,05 jeden zweiten bis dritten Tag an und machten insgesamt zwölf intravenöse Infusionen. Kinder bekamen in ähnlicher Weise zwölf Infusionen in der Dosis von 0,005-0,03. Bei Erwachsenen beginnen sie mit 0,03 und stellen die Behandlung nach zwölf Infusionen ein, um sie erst nach einer längeren Pause zu wiederholen. Ihre Technik ist folgende: Aus der 1 % igen destillierten und sterilisierten wäßrigen Lösung des Aurum-Kalium cyanatum -der Grundlösung -wird 1-3 cern Flüssigkeit, die einer Dosis von 0,01-0,03 des Präparates entspricht, in 50, über 0,03 in loo ccm frisch sterilisierter 0,6 % iger Kochsalzlösung pipettiert und nun -wie bei der Darreichung des Salvarsans -mit einem Glastrichter oder Zylinder in die V. mediana infundiert. Die letale Dosis bei Meerschweinchen ist 15 mg, die giftige 10 mg pro Kilogramm. Bruck und Glück halten eine Kombination des Aurum-Kaliurn cyanatum mit der alten Tuberkulinbehandlung für vorteilhafter, da in dieser Weise das Goldsalz ihrer Meinung nach leichter zum tuberkulösen Herd gelangt. Sic referieren in ihrer Mitteilung über 16 in dieser Weise behandelte Fälle von Lupus vulgaris. In 13 Fällen führten sie 14 bis 15 Goldsalzinfusionen aus. Laut ihrer Erfahrung entstehen in den tuberkulösen Herden dem Tuberkulin ähnliche lokale Reaktionen nach 24, in manchen Fällen nach 48 Stunden. Sie fanden, daß der Lupus durch das Mittel günstig beeinflußt wird. Manchmal zeigt sich die Wirkung auf die Hautläsion schon nach 2-3 Infusionen, manchmal später. Unter der Wirkung der Mitteilungen von Bruek und Glück beschäftigten sich bisher Feldt, Bettmann, Junker, Pekanovich, Mayer, Hauck und Ruete mit der Goldsalztherapie und wandten diese, teils mit dem alten Tuberkulin kombiniert, teiLs allein, bei DEUTSCHE MEDIZINISCHE WOCHENSCHIRIFT. 2303 tuberkulösen Erkrankungen der verschiedenen Organe an, konnten aber eben wegen diesen Differenzen auf keinen einheitlichen Standpunkt kommen. Feldt führte seine Tierversuche nicht mit Goldcyanid, sondern mit einer Kombination von Gold und Kantharidin aus und konnte ebenfalls eine Wirkung des Goldes auf das tuberkulöse Virus konstatieren. An Menschen hat er keine Impfungen ausgeführt. B ettmann machte Versuche an Lupuskranken und wandte das Goldcyanid gemeinschaftlich mit dem Tuberkulin an. Er stieg nicht bis zu der von Bruck und Glück empfohlenen Maximaldose von 0,05, sondern bloß bis 0,03, bemerkt aber trotzdem, daß selbst bei dieser Dosierung ein günstiger Einfluß auf den Lupus beobachtet werden kann. Junker berichtet über 6 während drei Monaten und 5 während kürzerer Zeit behandelte Fälle von Lungentuberkulose. Er wandte das Aurum-Kalium cyanatum ohne Tuberkulin an und bemerkte eine so hochgradige Reaktion der Lungenherde, wie man sie nach Tuberkulin kaum beobachten kann, und wenn er auch die therapeutische Wirkung nicht für ungünstig hält -in 3 Fällen ergab der objektive Befund eine überaus bedeutende Besserung -, glaubt er betonen zu müssen, daß bei der Behandlung der Tuberkulose die Vermeidung der Fieberreaktioners cntschieden ratsam ist ; außerdem nahm bei seinen Patienten neben dem Fieber das Körpergewicht ab, und es trat eine Verschlimmerung der allgemeinen Ernährung ein. Er empfiehlt die Anwendung kleinerer Dosen, als sie von Bruck und Glück angewandt wurden. Pekanovio h wandte das Mittel ebenfalls bei Fällen von Lungentuberkulose an. Das Medikament löste eine auffallend tarke Reaktion, Unruhe, Atembeschwerden, Hämoptoö, in einem Fall sogar blutigen Stuhl aus. 24 Stunden nach der Infusion stieg die Temperatur auf 39,5 und sank erst nach einigen Tagen. Bei zwei Fällen trat eine Verschlimmerung des Lungenzustandes ein, und zwei Kranke starben binnen einem Monat nach der Infusion. Bei zwei weiteren Kranken unterließ er wegen raschem Fortschreiten der Krankheit die weiteren Infusionen. Nach dem Ergebnis seiner fünf Fälle schließt er, daß das Mittel zur Heilung der Lungentuberkulose nicht geeignet sei, sondern das Fortschreiten des Prozesses eher begünstige. Die beobachteten Erscheinungen hält er für eine Cyanvergiftung, welche die Oxygenaufnahmefähigkeit des Organismus ungünstig beeinflußt und dadurch ein Fortschreiten des Lungenprozesses begünstigt. Mayer betont ebenfalls die bedeutende Wirkung des Goldcyans auf tuberkulöse Prozesse und beobachtete schon nach einigen Infusionen das Verschwinden der Tuberkelbazillen aus dem Sputum und eine Besserung der objektiven physikalischen Erscheinungen. Er sah gar keine schädlichen Nebenwirkungen, nicht einmal höhere Temperatursteigerungen und auch keine Spuren einer Cyanvergiftung. Die ausführliche Krankengeschichte eines Falles mit letalem Ausgang wird nebst dem genauen Sektionsprotokoll von Hauck mitgeteilt. Neben auf das ganze Gesicht und Mundhöhle ausgebreitetem Lupus waren ähnliche verruköse Herde von verschiedener Größe über den ganzen Körper verbreitet. Während 33 Tagen bekam er insgesamt 0,34 g Aurum-Kalium cyanatum in zehn Infusionen: eine zu 0,02, vier zu 0,03 und fünf zu 0,04, erreichte daher die von Bruck und Glück empfohlene Maximaldosis von 0,05 nicht. Nach den Infusionen stieg die Temperatur auf 38 es traten Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit auf, während das Körpergewicht in den ersten vier Wochen von 52 auf 55 kg stieg, 24 Stunden nach der letzten Infusion stieg die Temperatur auf 40,3 ° und blieb an den nächsten Tagen auf 39-40 ohne auf Pyramidon wesentlich zu reagieren. Nach sechs Tagen Lebertumor, hämolytischer Ikterus und 13 Tage nach der letzten Infusion Exitus. Was den Einfluß des Goldcyanides auf die Lupusherde betrifft, beobachtete Hauck schon nach der dritten Infusion eine auffallende Wirkung desselben. Die lupöse Infiltration der Gewebe bildete sich entschieden zurück. Vor Beginn der Behandlung wurden die Augen der Kranken durch das lupöse Infiltrat der Augenlider fast vollständig verdeckt, während der Wirkung der Infusionen wurden diese bald wieder frei. Die Obduktion ergab als Todesursache eine Vergiftung mit Goldcyan, da eine andere Ursache an der Leiche nicht konstatiert werden konnte. Hauck schreibt, gestützt auf die experimentellen Untersuchungen von Heubner, nicht dem Cyan, sondern dem Gold die Giftwirkung zu. Heubner beobachtete an Fleischfressern, daß nach der intravenösen Applikation der Goldcyañverbindungen die Wirkungen des Goldes erst nach den vorübergehenden Erscheinungen der Cyanvergiftung (Atembeschwerden, Krämpfe) auf treten und sich in Erbrechen, psychischer Depression, Diarrhöen, blutiger Stuhlentleerung äußern. Das Gold hält er für ein kapillares Gift, das eine Lähmung der kontraktilen Elemente der Kapillargefäße verursacht. Ruete wandte das Aurum-Kalium cyanatum iii 15 Fällen (drei Lupus vulgaris und zwei Lupus erythematosus) zumeist mit Tuberkulin zusammen an, wobei er mit Ausnahme der vorher erwähnten fünf Fälle äußerlich auch Pyrogallus applizierte. Seine Erfahrungen brachten ihn zu der Ueberzeugung, daß das Aurum-Kalium cyanatum + Tuberkulin keine befriedigenden Resultate bei Lupus gibt, weil die ganze Wirkung bloß in einer geringfügigen Abf lachung der Herde bestand. Heruntergeladen von: NYU. Urheberrechtlich geschützt.
doi:10.1055/s-0028-1128909 fatcat:hhx6fmk7qbdkzhekwwjqblw4k4