Der Fall Fabio - aus Adoptionsverläufen lernen

Samuel Keller, Thomas Gabriel
2018
Nach der Adoption im Sommer 2009 gibt Fabios Adoptivmutter, Kathrin P., ihre Arbeitsstelle auf, um sich ganz ihrer Mutterrolle zu widmen. Fabios Adoptivvater, Christian P., bleibt voll berufstätig. Zu Beginn macht sich beim Ehepaar P. zwar immer wieder Verunsicherung breit: Sind das Verhalten ihres Kindes und ihre jeweilige Reaktion darauf «normal» oder «anormal»? Davon abgesehen stellt sich aus ihrer Sicht aber bald ein Gefühl von Familie ein, das sie geniessen. Abklärung des Kindes -und dann?
more » ... Vor allem ab 2015, sprich mit Fabios Übertritt in die erste Klasse, kommt es zu heftiger werdenden Konflikten mit seiner Mutter. Fabio lässt sich auf dem Pausenplatz schnell provozieren und findet nur schwer Freunde. Diese Phase wird von allen in der Familie als sehr belastend empfunden. Kathrin P., die sich stets komplett dem Wohl des Kindes und der Familie zu widmen versucht, fühlt sich durch Fabios Provokationen als Person und Mutter infrage gestellt. Die Eltern lassen Fabio ärztlich abklären, da sie in seinem Verhalten Folgen seiner Adoption vermuten. Christian P. über das Ergebnis: «Und denn isch er uf Ritalin gsetzt worde, au wenn's nid eso eidütig gsi isch.» Trotz einer nur knappen ADHS-Diagnose bekommt Fabio also Ritalin verschrieben. In der Schule und zuhause kommt es jetzt zwar zu weniger Konflikten und Streitereien, dafür haben die Eltern ein zunehmend schlechtes Gewissen. Denn das Ritalin führt bei Fabio zu Nebenwirkungen wie Magenproblemen, Gewichtsverlust und Lethargie, weshalb er auch bald beginnt, sich gegen die Einnahme zu wehren. Hinterfragen von Erwartungen und Rollenbildern Angeregt durch Fabios Widerstand beginnen die Eltern nun, sich Gedanken über ihr Familienbild, ihre Erwartungen und ihr Rollenverständnis zu machen und darüber, was sie daran ändern können und müssen. Um die Spannungen zwischen Mutter und Kind abzubauen, aber auch um Kathrins hohen Erwartungen an sich als Mutter und Hausfrau zu senken und ihren Fokus von Fabio und seinem Adoptionshintergrund zu lösen, steigt sie wieder Teilzeit in ihren Beruf ein. Fabio geht zweimal pro Woche zum Mittagstisch. In dieser veränderten Ausgangslage kann Fabio sich plötzlich ganz anders einbringen und sichtbar machen. So stösst er schliesslich bei seinen Eltern, der Lehrerin und beim Arzt mit seinem Wunsch, die Medikamentation nicht fortzuführen, auf offene Ohren. Zum Zeitpunkt des Interviews liegt die selbstbestimmte Absetzung bereits ein halbes Jahr zurück und nach wie vor läuft es auch aus Fabios Sicht in der Schule und zuhause gut. Offenbar haben die offene Thematisierung der Herausforderungen, die selbstkritische Haltung der Eltern und Illustration: Sarah Weishaupt
doi:10.21256/zhaw-5502 fatcat:iq22ntn4c5fqrasjxmhe6dbdkm