Freundschaft, Feindschaft und Gemeinschaft im Alten Ägypten [chapter]

Jan Assmann
2013 Freundschaft  
JAN ASSMANN Freundschaft, Feindschaft und Gemeinschaft im Alten Ägypten "Der Untätige hat kein Gestern, der für die Wahrheit Taube hat keinen Freund, der Habgierige hat keinen Festtag." "Es gibt keinen Freund für den, der für die Ma'at taub ist" 1 , liest man in einem altägyptischen Text aus dem 19. oder 18. vorchristlichen Jahrhundert. Es handelt sich um eine der seltenen altägyptischen Aussagen über Freundschaft, und sie ist wie es für die altägyptische Dichtung kennzeichnend ist so
more » ... kurz gefasst, dass wir kaum etwas damit anfangen können. Dieser Satz erinnert in sei ner Kompaktheit an jene japanischen Papierblumen, die Proust mit Erinnerungs spuren vergleicht: Man muss sie in Wasser legen und warten, bis sie sich darin auseinanderfalten, um erkennen zu können, um was es sich handelt. Mein Beitrag ist so ein Wasserbad, in das ich den ägyptischen Satz legen möchte, um ihn sich darin ausbreiten und von allen Seiten betrachten zu lassen. L Zunächst müssen wir wissen, was "Ma'at" bedeutet. 2 Im Deutschen pflegen wir diesen Begriff mit "Wahrheit Gerechtigkeit Ordnung" zu umschreiben. Ma'at ist das Richtige, das sich im Sprachlichen als Wahrheit, im Tun als Gerechtigkeit und in der Welt der Dinge als Ordnung manifestiert. Es handelt sich um den richtigen Zusammenhang der Menschen und der Dinge darin sind für die Ägypter Wahrheit, Gerechtigkeit und Ordnung erfasst. Im Hinblick auf die Freundschaft ist Ma'at eine Sache der Sprache; anders könnte man nicht "taub" für sie sein. Um für die Ma'at zugänglich zu sein, muss man hören, zuhören, ver stehen, gehorchen können. Das ist offenbar als Gegensatz zu "taub sein" ge meint. Die "Wahrheit Gerechtigkeit Ordnung" wird sprachlich kommuni ziert, und wer wegen Taubheit von dieser Kommunikation ausgeschlossen ist, hat keinen Freund. Diese Engführung von Sprache und Freundschaft lässt an Ari stoteles' berühmte Bestimmung des Menschen denken als das Tier, das Sprache hat (%pon logon echon) und das Tier, das in Gemeinschaft lebt {^oonpolitikon). Um in Gemeinschaft leben zu können, braucht der Mensch die Sprache, und er braucht sie nicht nur als ein sprechendes, sondern auch als ein hörendes, das heißt: ver Papyri Berlin 3023 + 3025 und Ramesseum A = Papyrus 10499, s. Jan Assmann, Ma'at. Gerechtig keit und U «Sterblichkeit im Alten Ägypten, München 1990, S. 60. S. hierzu umfassend ebd.
doi:10.30965/9783846753705_009 fatcat:5urh4ovzjrefvdhkhbm33cifoy