Averroës perversor. Eine Untersuchung zu Thomas von Aquins Auslegungskritik an Ibn Rushds langem Anima-Kommentar

Ueli Zahnd
2004
Als die ,Mutter aller Irrtümer' -die Pariser Universität-um 1270 zum Schauplatz einer der schwersten Krisen der abendländischen Aristoteles-Rezeption wurde, weil insbesondere einige Passagen der peripatetischen Intellektlehre zu christlichen Seelen-Konzeptionen derart im Widerspruch standen, dass ihnen nur noch mit einem generellen Aristoteles-Verbot beizukommen schien, 1 griff Thomas von Aquin, der grosse Aristoteliker der Hochscholastik, zur Rettung seines geistigen Vaters zu einem
more » ... hen Mittel: 2 Anstatt wie in anderen strittigen Punkten der Aristoteles-Auslegung zwischen denkscheuen Kirchenleuten und allzu radikalen Freidenkern zu vermitteln und zu zeigen, wie Aristoteles' Thesen christlich kompatibel verstanden werden könnten,3 bestätigte er in der Intellektfrage erstaunlicherweise die Unhaltbarkeit, ja Verwerflichkeit der konfliktträchtigsten Aussagen peripatetischer Seelenkonzeption. Dazu gehörte insbesondere die These, dass allem menschlichen Denken nur ein einziger Intellekt als Denkprinzip zugrunde liege, 4 und weil die Annahme eines einzigen überindividuellen Intellekts der Lehre über die individuelle Unsterblichkeit entgegenstand, drohte mit ihr das ganze christliche Moralsystem umgestürzt zu werden: "Spricht man nämlich den Menschen die Mannigfaltigkeit [ihres jeweiligen] Intellekts ab (der offenbar als einziger unter allen Teilen der Seele unvergänglich und unsterblich ist), so folgt daraus, dass von den Seelen der Menschen nach dem Tod nichts anderes übrigbleibt als eine einheitliche Intellekts-Substanz. Auf diese Weise wird aber die Vergeltung durch Lohn und Strafen sowie deren Mannigfaltigkeit aufgehoben." 5 Dem konservativen Flügel
doi:10.5451/unibas-ep50045 fatcat:u6w5l4wperaapbrirezvzq52fe