Phototoxische Medikamente: Wichtigkeit der Patienteninstruktion
Nina Böhler, Marco Siano, Mark David Anliker
2014
Swiss Medical Forum = Schweizerisches Medizin-Forum
Fallbericht Ein 77-jähriger Patient stellte sich wegen eines akut aufgetretenen, schmerzhaften Exanthems im Spital vor. An Vorerkrankungen war ein hepatisch und ossär metastasiertes, medulläres Schilddrüsenkarzinom bekannt, weshalb er unter einer Therapie mit Sorafinib stand. Aufgrund einer Tumorprogression wurde die Therapie auf einen neuen Tyrosinkinaseinhibitor Vandetanib umgestellt. Andere systemische oder topische Substanzen wurden nicht eingesetzt. 12 Tage nach der Umstellung auf
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... b erlitt der Patient einen Sonnenbrand, woraufhin er zwei Tage später ein krustig belegtes Erythem und Ekzem des gesamten Gesichts, der Ohren und des Halses mit vorhandenem Kinnschatten entwickelte (Abb. 1 ). Die Arme waren lateral und dorsal fast geografisch betroffen, inklusive Handrücken beidseits, mit stark infiltriertem Erythem und einer Fältelung sowie Papulovesikeln. Vergleichbar waren die Unterschenkel ventral und dorsal mit Blasenbildung bis 5 cm Grösse, ebenfalls an Fussrücken und Zehenrücken grossflächige Blasenbildung, z.T. konfluierend. An den Knien sowie Ellbogen streckseitig zeigten sich ausgeprägte Erosionen von bis zu 10 × 10 cm Grösse (Abb. 2 und 3 ). Auf ursprünglich nicht lichtexponierter Haut an den Oberarmen und am Oberkörper fielen Streuphänomene mit runden erythematösen Herden auf (Abb. 4 ), ohne Hinweise für eine enorale oder genitoanale Beteiligung. Bei Verdacht auf ein phototoxisches oder photoallergisches Exanthem wurde Vandetanib gestoppt. Es wurde eine lokale Therapie mit einer steroidhaltigen Salbe begonnen. Da es zum weiteren Ausbreiten des Exanthems über die Hand innenflächen und der initial nicht sonnenexponierten Haut kam, wurde eine Biopsie entnommen und eine hochdosierte lokale Steroidtherapie begonnen. Zusätzlich wurden peroral Steroide in Kombination mit Antihistaminika eingesetzt. Erst nach 6 Wochen konnte die Therapie gestoppt werden. Diskussion Vandetanib ist ein Tyrosinkinaseinhibitor mit unterschiedlichen Angriffspunkten, der vor allem bei Tumorerkrankungen wie nichtkleinzelligem Lungenkarzinom NSCLC), Leberzellkarzinom (HCC), metastasierendem Mammakarzinom, Nierenzellkarzinom und metastasiertem Schilddrüsenkarzinom (MTC) erforscht wurde. Vandetanib ist ein potenter Inhibitor des vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor-Rezeptors 2 (VEGFR-2) so-wie des epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptors (EGFR), der vaskulären endothelialen Rezeptor-3-Tyrosinkinase und der RET-Tyrosinkinase [1]. Die Absorption von Vandetanib erfolgt langsam und bindet sich zu 90% an Albumin. In der Leber wird Vandetanib mittels CYP3A4 metabolisiert und zu 44% über den Stuhl und zu 25% über die Niere ausgeschieden. Die Halbwertszeit beträgt 19 Tage. Dermatologische Nebenwirkungen sind bekannt und häufig. Eine Unterscheidung erfolgt nach Typ und Schweregrad der Hautreaktion. Das Auftreten von mittelgradigen Hautreaktionen (Grad 1-2 nach CTC [common toxicity criteria]) wird mittels Dosisreduktion oder kurzen Therapieunterbruchs behandelt und ist folgendermassen verteilt: Die Gesamt-Inzidenz einer Hautreaktion liegt bei 67%; Grad-1-2-Reaktionen liegen bei 63% und Grad 3-4 bei 2-4% [2, 3]. Je nach Art des Tumors konnten unterschiedliche Häufigkeiten nachgewiesen werden [4] . Bei Patienten mit metastasiertem Schilddrüsenkarzinom zeigte sich eine signifikant höhere Inzidenz für das Auftreten einer Hautreaktion im Vergleich zu Patienten mit NSCLC (54 vs. 41%). Es ist zu bedenken, dass bei Therapien mit einem Tyrosinkinaseinhibitor das Auftreten einer Hautreaktion mit dem Ansprechen korrelieren kann. Gänzlich geklärt ist die Pathophysiologie dieser Hautreaktion nicht. Am ehesten wird sie durch Hemmung des EGFR ausgelöst, was mit einer inflammatorischen Reaktion und nachfolgender Zytokin-Ausschüttung einhergeht und den typischen papulo-pustulösen Haut ausschlag verursacht, welcher follikulär zentrofazial beginnt und in eine mehr xerotische Dermatitis des gesamten Integuments mündet. Angriffspunkt ist hierbei die germinative Basalzellschicht der Epidermis und insbesondere der Talgdrüsen, welche eine hohe EGFR-Expression aufweisen und irreversibel zerstört werden können. Nicht zuletzt bestimmt das Ausmass der Hautreaktion die Lebensqualität und die Therapieadherenz des Patienten. Um das Auftreten der Dermatitis zu reduzieren, wird empfohlen, prophylaktisch eine rückfettende Lotion und zudem Sonnenschutz mitzuapplizieren. Auch nach Beendigung der Therapie sollten diese Massnahmen aufgrund der langen Halbwertszeit von Vandetanib beibehalten werden. Diese Empfehlungen stammen aus klinischen Studien mit monoklonalen Anti-EGFR-Antikörpern. Vermutet wird, dass die Hautreaktionen durch die UV-Strahlung getriggert wird. In Phase-I-und -II-Studien traten Photosensitivitätsreaktionen zwar selten auf (Grad 1-2 13%, Grad 3-4 2%), jedoch z.T. mit schweren Verläufen mit Auswirkungen auf die Morbidität und Mortalität [5, 6] .
doi:10.4414/smf.2014.01795
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