Die Untersuchung und Behandlung von Stimmstörungen der Redner und Sänger

M. Nadoleczny
1922 Klinische Wochenschrift  
1 108 KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. I. JAHRGANG. Nr. 22 27. MAI 1922 teilweise Vern~hung wenden wit grunds~tzlich an. Es ist selbstverst~ndlich, dab wir der Lage des Falles das Verfahren anzupassen haben. Je mehr der Erkrankungsherd lokalisiert und abgeschlossen war, je mehr wir also mit einer verhXltnism/iBig geringen Virulenz der Erreger und mit der Wahrscheinlichkeit rechnen k6nnen, ulles Krankhafte entfernt zu hubert, um so unbedenMicher und um so weiter diirfen wit schlieBen. Die genuue
more » ... ichtigung des einzelnen Falles wird Uns aber auch manchmul abhalten, iiberhaupt zu n~hen; wir lassen die gunze Wunde wenigstens eine Zeitlung often. Nicht nut die Mitbeteiligung des Sinus oder des iibrigen Sch/~delinhaltes werden uns dazu verunlussen. Nuch diesen Grundsgtzen haben wir seit Juhren gehandelt. Bis jetzt sehen wir auch keine Veranlassung davon abzugehen. Nach teilweiser Nuht und Offenhalten der nnteren Wundwinkel heilen die H6hlen in der Regel ohne jegliche besondere Nachbehandlung. Wir k6nnen uns uuf eine lockere Tamponade, die das Lumen der H6hle bis zum Versiegen der Absonderung often h~lt, beschr/inken. Die Patienten k6nnen also bald aus der Klinik entlassen werden und bediirfen nicht unbedingt der Weiterbehandlung durch den Facharzt bis zur v611igen Heilnng. Als endgiiltigen Zustand, der f/ir uns auch das beste Erreichbare darstellt, haben wir, wie ich durch eigene Untersuchung feststellen konnte, eine Ausfflllung mSglichst groger Teile der Operationsh6hle durch eine yon den bedeckenden Weichteilen gelieferte NarbenMldung anzusehen. In der Tiefe, in der Antrumgegend, werden wir wohl immer mit ernenter ttohlraumbildung zu rechnen haben. Dort stellen sieh unter giinstigen Bedingungen, d. h. wenn die Verbindung mit der uusgeheilten Punkenh6hle erhalten bleibt, lufthaltige Rgume wieder her. Pneumatische R/iume in der Tiefe, feste Narbenbildung in den/iuBeren Partien der Operationsh6hle, das stellt meines Erachtens das ideale Heilungsresultut dur. Im allgemeinen bleibt das auch ein nnver~inderter Dauerzustand. Freilich ganz uusgeschlossen sind Riickfglle nicht. Es kommt dann bei ernenter Infektion der PaukenhShle uuch zu rusch auftretenden Entzfindungen nnd Abscessen in der OperationshShle und dem ausfffilenden Narbengewebe. In der Regel genfigt dann ein Einschnitt in die vorgew61bte Nurbe und das Offenlhalten dieses Einschnittes, um die Entzfindung wieder ubklingen zu lassen. Neue groBe Operationen in Form yon plastisehem Ausfiillen der alten H6ble haben wir nicht mehr n6tig gehubt, seitdem wir mindestens die obere H/ilfte der Wunde durch Naht schlieBen, und seitdem wit durch Wegnahme des /~uBeren Teiles der hinteren kn6chernen GehSrgangswand and m6glicher Abflachung der Wundrgnder die I-teilung im oben uusgefiihrten Sinne erstreben. Bei groBen breiten Narben, wom6glich noch mit Neigung zur Bildung yon Dauerfisteln, ist aber ein plastisches Ausfiillen der H6hlen nicht zu umgehen. Obwohl die funktionelle Stimmschw/iche schon seit 1862 (LEwlNS Arbeit in Virchows Archiv Bd. 24) bekannt ist, und obwohi FLATAV und IMHOFER sie monographisch dargestellt haben, steht doch die Mehrzahl der Hals/~rzte dieser Krankheit --sugen wir hSflich --"etwas fremd" gegenfiber. Dem sollte aber nicht so sein. Hat dieser unerfreuliche Zustand doch zu einer stets wachsenden Antipathie der Stimmbildner gegen die Fuch~rzte gefiihrt. Jene erlauben sich z. B. ganzunverfroren davon zu reden und zu schreiben, dab die Hals-/irzte diesem Leiden "kenntnis-und ratios gegenfiberstehen" undes den "unfruchtbaren, ja sogar oft stimmsch/~digenden Pinsel-und underen Verfuhren" nnterwerfen. Leider sind solch iibertriebene Vorwfirfe wie dieser, dem Schriftchen eines Volksschullehrers entnommene, teilweise berechtigt. Abet es scheint auch erkl/~rlich, dab ein groBer Teil der Laryngologen sich nicht recht in den Begriff der sogenannten Phonasthenie nnd in ihre Behandlung einzuleben vermag, --erkl/~rlich durch die Art und Weise der ~irztlichen Schulung in den zwei letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, welche doch im wesentiichen yon einer mechanistischen, ulso einer dogmatisch materialistischen Betrachtungsweise im Sinne der philosophischen Terminologie getragen war. Es wiirde freilich zu weft f/ihren und aus dem Ruhmen dieser Abhandlung fallen, wollten wir jenen) erkenntnis-theoretischen Zusammenhang weiter er6rtern. Jedenfal!s miissen die Halsgrzte dem normalen und pathologischen Verhalten der Stimmfunktion, also der phonetischen Seite der Laryngologie, im eigenen Interesse und in dem ihrer Kranken mehr Beachtung schenken, als das bisher wenigstens in der Praxis geschah. I3evor wir das Thema der Aufschrift im einzelnen behandeln, soll der Begriff der funktionellen Stimmschw/iche begrenzt werden, uls "StSrung, deren Wesen darin besteht, dab die Lautgebung beim beruJsmdfligen Sprechen und Singen nieht mit einem gewohnheitsgemgiflen und daher unbemerkten Au]wand an KraJt, nlcht mlt gewohnter Klangreinheit u nd nicht in gewohnter Dauer hervorgebracht werden lcann". Der Vorgeschichte unserer Kranken (Prediger, Berufsredner, Lehrer an Volks-nnd Mittel-, selten an Hochschnlen, Schauspieler, S/inger) soll hier nur weniges Bedeutsame entnommen werden. Die meisten kommen mit einer fertigen Diagnose zum Arzt: Rachen-Kehlkopf-, LnftrShrenkatarrh oder alle drei "Katarrhe" zusammen. Auf die Frage nach dem Auswurf h6rt man mit Erstaunen, dab trotz jener Katurrhe kein oder fast kein Schleim ausgespuckt werden kSnne, obwohl erda sei. Die Katurrhhypothese fuBt, soweit sie nicht grztlicherseits uusgesprochen wurde, auf 8ubjektiven Emp-Jindungen uller Art vom einfuchen Drnck, yon der Trockenheit bis zum brennenden Schmerz. Die Stimme, welche friiher mfihelos ansprach, wird jetzt rasch belegt, v~rschleiert, iiberhaucht, heiser. Singen und Sprechen strengt an und ermfidet schon nach 1/a oder 1/2 Stunde. Die Singstimme hut anfangs namentlich in der Mittellage gelitten, in der tt6he erst spgter, aber auch hier brechen die TSne ab bzw. sind zum Tell verloren gegungen. Beim 1/ingeren Sprechen und Singen verschlechtert sich der Zustand, der gewShnlich sehr allm~Lhlich, selten plStzlich im Anschlug an eine besondere Leistung oder an eine akute Erkrankung sich entwickelt hat. Das pl6tzliche Auftreten finder man h~ufiger bei zu kurz und nngeniigend geschulten S~ngern. Doch lehrt uns genaueres Nachfragen, dab auch hier schon vorher Anzeiehen der beginnenden StSrung da waren, die nicht geniigend gewiirdigt wurden. Deshalb hut sich die Aufnahme der Vorgeschichte, abgesehen yon den erw~hnten Beschwerden, noch zu erstrecken uuf den Gesang in der Sehule, w~hrend der Pubert(it, auf den Eintritt der letzteren (erste Menstruation), uuf Mutationserscheinungen und Mutationsdauer, ferner uuf die gesangliche Ausbildung, deren Dauer und Art (wie lange tfiglich; wie viel Juhre, was ffir Ubnngen, wann zuerst Lieder, Partien gesungen wurden [zu friih ?] und welche). Von besonderer Wichtigkeit ist aueh die sogenannte Gesangsmethode. Man mug also wissen ob mehr forte (falsch) oder mehr piano, auf welche Vokule haupts/~chlich gefibt wurde. ferner was yon Stimmeinsatz, Stimmansatz und Atmen gelehrt wurde, ob offenes Singen besonders (zu viel) gepflegt und ob die Stimme hinaufgeschraubt wurde. Nach diesen Vorfragen beginnt erst die eigentliche Vorgeschiehte mit Fragen nach der ersten, etwaigen sp~teren und schlieBtich der gegenw~rtigen StimmstSrung, deren Art (Tongebiet) und angebliche Ursachen (Igrankheit, Uberanstrengung, seelischer Scheek) und schlieBlich deren Behandlung bzw. die ~ therapeutische Mil3handlung (6rttiche Eingriffe mit ~tzmitteln, Kunstik' oder Operationen, deren Zweckms oder Schgdlichkeit hinterher oft schwer zu beurteilen ist). Die subjektiven Angaben des Kranken sind hier wenig maBgebend; objektive Befunde wie z. B. vollkommene Entfernung der unteren Muscheln, oder Syneehien nach Kaustik in der Nase sagen uns mehr. Die 5rtlicheUntersuehung und ihr Ergebnis, der Be]und, ist bei Phonasthenie recht h~ufig ~ast belanglos: man finder nichts besonderes und was man finder, z. t3. eine Septum-
doi:10.1007/bf01771565 fatcat:jle7j63vsfhbtcl7fhjuzxejga