Ein Kraut gegen Staatsschulden
Brigitte Unger
unpublished
Kommentar wsi mitteilungen 4/ 2012 252 "P flück ich Tausendguldenkraut, weil mir vor den Schulden graut" -so hofft der Kabarettist Farkas, seine privaten Schuldensorgen zu bewältigen. Doch welches Kraut ist gegen Staatsschulden gewachsen? Staatsschulden werden heute als Krankheit des Staates gesehen, die kuriert werden muss. Staatsschulden werden als bedrohlich, als zu hoch erachtet. Was hat sich verändert, seit der portugiesische Dichter Pinto im 18. Jahrhundert begeistert schrieb
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... en sind Goldminen", weil staatliche Infrastruktur den Handel florieren ließ, oder seit der deutsche Ökonom von Stein im 19. Jahrhundert meinte "ein Staat ohne Staatsschuld tut entweder zu wenig für die Zukunft oder er verlangt zu viel von der Gegenwart"? Von den Merkantilisten des 18. Jahrhunderts über die Klassik, Neoklassik hin zu Keynes bis zur neuen klassischen Makroökonomie und Public Choice Theorie wandert das Pendel zwischen Staatsschuldeneuphorie und -angst hin und her entlang der Dogmengeschichte der ökonomischen Theorie. Drei fundamentale Ansichten schieden die Geister und (bis vor Kurzem) den rechten vom linken politischen Flügel: Sind Staatsschulden dasselbe wie private Schulden? Oder ist der Staat aufgrund seines Steuermonopols und der makroökonomischen Effekte, die er auslösen kann, anders als ein privater Schuldner? Sind Staatsschulden überhaupt Schulden, wenn gesamtwirtschaftlich doch jeder Staatsschuldverbindlichkeit eine Vermögensanlage eines Staatsbürgers in Staatsschuldpapiere gegenübersteht? Müssen Staatsschulden getilgt werden, oder sind sie ewige Schulden, die stets nur neu finanziert werden müssen? Belasten Staatsschulden diese oder die nächste Generation, oder sind sie keine Last? Linke meinten jeweils das Zweite. Sie folgten damit einem Zeitgenossen Keynes, dem Ökonomen Lerner, der zu Staatsschulden meinte "we owe it to ourselves -wir schulden sie uns selber". Lerner vertrat die Auffassung, dass der Staat nur mit der einen Hand Kredite von seinen Bürgern aufnimmt, um mit der anderen Hand Staatsausgaben für seine Bürger zu tätigen, und daher niemanden belaste. Auch Zinsausgaben auf die Staatsschuld gingen nicht zulasten der nächsten Generation, weil sie zugleich ja auch Zinseinnahmen von Gläubigern der nächsten Generation seien. Weswegen dann aber der einheitliche Horror vor Staatsschulden heute, der sowohl die Rechte wie auch die Linke zu beherrschen scheint? Staatsschulden sind heute nicht mehr Inlandsschulden. Der Großteil wird von ausländischen Anlegern gehalten. Damit fließen auch die Zinsen auf Staatsschulden ins Ausland, während die Steuern von den Inländern gezahlt werden müssen. Dies kann zu einer Belastung der zukünftigen Generation führen. Staatsschuldenpapiere sind einem regen Handel außerhalb der Kontrolle von Regierungen unterworfen und zum Spe kulationsobjekt geworden. Vor allem im Zusammenhang mit Versicherungen, die auf die Zahlungsunfähigkeit eines Landes abgeschlossen werden (credit default swaps). Damit sind auch die Zinsen auf Staatsanleihen von Ratingagenturen abhängig geworden und nicht mehr steuerbar.
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