Die Bibliophilatelie, das Sammeln und das Sein Einige Gedanken

Ben Kaden
unpublished
s gibt einen kleinen Briefmarkenhändler in der Reinhardt-Straße in Berlin-Mitte, vor dessen Auslage ich in den 1980er Jahren-also als jüngerer Schulbub-einmal mit meinem Vater stand: Seine Einstellung zu den bunten Papierchen war als "leidenschaftlich", meine vielleicht als "freundlich interessiert" zu bezeichnen. Ich hatte mein kleines Album mit ein paar Sportmarken zu den Olympischen Spielen in Los Angeles von den Komoren, einige Zootiere aus der DDR und kubanische Weltraumausgaben, mein
more » ... seine zwei, drei Dutzend großen Alben, in die ich nie hineinblätterte und in denen ich, der ich zu schmutzigen Fingern neigte, vielleicht auch gar nicht blättern sollte. Das zweite Mal betrat ich den Laden so um 2001 auf der Suche nach einem Geburtstagsgeschenk. Auch wenn die Freude über Briefmarken bei Nicht-Philatelisten sicher beschränkt ist-als nette Zugabe sind Motivmarken doch immer geeignet und stoßen bei fast jedem Menschen irgendwie auf Sympathie. Das dritte Mal ging ich im Januar 2005 in dieses Geschäft, um wieder ein Geschenk zu erwerben, einen hübschen Bogen aus England mit Waldtieren. Diesen gab es natürlich nicht, aber da ich nicht unverrichteter Dinge gehen wollte, fragte ich mit mehr gespieltem als realem Interesse, ob es denn Briefmarken mit Bibliotheksmotiven gäbe. Der Händler schaute mich mit irritiertem Blick an und meinte, er hätte noch nie gehört, dass irgendjemand so etwas sammle, ja sich überhaupt dafür interessiere. Er erinnerte sich aber an eine Emission zu den Kostbarkeiten der Staatsbibliothek im letzten Ausgabejahr der DDR (1990). Diese gab es vorrätig und fast geschenkt und so bildeten Michel Nr. 3340-3343 den Grundstock meiner Sammlung und den Auslöser dafür, dass ich mich geradewegs in den Spuren meines Vaters wieder finde und-obwohl vom Alter her sicher noch weit unter dem Durchschnitt des typischen Philatelisten-eine kleine, vollkommen zweckfreie, Leidenschaft entstehen lasse. Das schrecklich schöne Sammeln Im Sammeln, so kann man annehmen, offenbart sich ein bibliothekarischer Urtrieb. Das Sammeln ist die Voraussetzung für das Erschließen und schließlich Verfügbarmachen-nicht nur-von Literatur und manchmal tritt es auch vollkommen losgelöst von diesen Folgetätigkeiten auf. Man kann sich diesem Sammeltrieb, wenn man denn von einem Trieb sprechen möchte, aus verschiedenen Richtungen nähern und die psychologische erscheint als eine logische, leider aber nicht unbedingt fruchtbare. Von dem französischen Postmodernisten Jean Baudrillard, zugegeben nicht unbedingt ein ausgewiesener Psychologe, ist folgende Passage überliefert: "Beim Kind ist es [das Sammeln] der rudimentärste Ausdruck seiner Herrschaft über die Umwelt: ein Ordnen, Einteilen und Gruppieren. Die aktive Phase des Sammelns scheint zwischen dem siebenten und zwölften Lebensjahr zu liegen, in der Latenzzeit zwischen der Vorpubertät und der Pubertät. Mit deren Abschluss nimmt die Lust am Sammeln ab, erwacht jedoch manchmal bald darauf wieder. Später sind es die Männer über vierzig, die sich von dieser Leidenschaft fortreißen lassen. Kurz, überall scheint ein Zusammenhang mit der sexuellen Konjunktur zu bestehen. Während der kritischen Phasen des Geschlechtslebens scheint das Sammeln eine bedeutende E
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