Videoüberwachung im öffentlichen Raum
Joachim Pohl
2003
Kritische Justiz
Joachim Pohl Videoçberwachung im aeffentlichen Raum Einleitung Technische Entwicklungen laesen Aufgaben; den Juristen schaffen sie sie. Der Einsatz von Videokameras zur Ûberwachung aeffentlichen Raumes macht dabei keine Ausnahme. Nachdem die Technik ausgereift, die Anschaffungspreise gesunken und die Fakten geschaffen sind, ziehen Gesetzgeber, Literatur und Rechtsprechung in den çblichen Intervallen nach. Bei der rechtlichen Beurteilung der Videoçberwachung hat sich schnell ein Konsens
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... Formell sei die Gesetzgebungskompetenz der Lånder zweifelhaft; materiell sei das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung Maûstab, 1 wobei gelegentlich Zweifel an der Geeignetheit geåuûert werden. Ûbersichtsaufnahmen håtten keine Eingriffsqualitåt, weil keine personenbezogenen Daten erhoben wçrden. 2 Doch schon einfache Kontrollçberlegungen wecken Zweifel: Versammlungen dçrfen wegen der ihnen unterstellten Sensibilitåt nach § 12a VersG nur unter engen Voraussetzungen gefilmt werden. Mçssen dauerhaft installierte Kameras in Fuûgångerzonen abgeschaltet werden, wenn dort Versammlungen ± etwa auch spontan ± stattfinden? 3 Was rechtfertigt die Annahme, dass allein die Versammlungsfreiheit besonders sensibel sei, obwohl gerade sie aeffentlich ausgeçbt wird? Defekte Kameras çbertragen çberhaupt keine Informationen; ist ihre sichtbare Existenz, scheinbare Funktion und die davon ausgehende Wirkung grundrechtlich vaellig unbeachtlich? Dass die allenthalben pråsentierte Prçfung Videoçberwachung zu tolerieren geneigt ist, çberrascht kaum. Sie erfasst lediglich Teilaspekte des grundrechtlichen Schutzprogramms (A.). Soweit erkennbar bislang ausgeblendet ist die richterliche Kontrolle der Videoçberwachung. Ursache ist die fragwçrdige Pråmisse, Videoçberwachung finde »offen« statt. Diese Annahme ist genauer zu untersuchen und mit ihr die Erfordernisse effektiven Rechtsschutzes (B.). Doch auch in anderer Hinsicht scheint die Videoçberwachung çber sicher geglaubte dogmatische Einsichten erhaben: Wåhrend polizeiliche Maûnahmen bislang durch einen Verwaltungs-oder Realakt und einen Adressaten spezifiziert und als solche Prçfungsgegenstand waren, verursacht die Dauerçberwachung Unschårfen, die zu verkçrzter Prçfung verleiten (C.). Eine genaue Feststellung des Prçfungsgegenstandes weckt auch weitere Zweifel an der Verfassungsmåûigkeit der Ermåchtigungsgrundlagen. Deren Tatbestand nåmlich ist unvollståndig und wird durch Verwaltungsvorschriften ergånzt ± ein wohl ungençgendes Regelungsniveau fçr Grundrechtseingriffe (D.). A. Grundrechtliche Maûståbe der Videoçberwachung Materieller Prçfungsmaûstab der Videoçberwachung aeffentlichen Raumes ist nach verbreiteter Vorstellung allein das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung. Es steht auûer Zweifel, daû dieses Recht staatlicher Beobachtung und Datenerhebung 1
doi:10.5771/0023-4834-2003-3-317
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