Ueber die nachtheilige Beeinflussung des Schwimmunterrichts durch Verengerung der obersten Luftwege

Ernst Barth
1900 Deutsche Medizinische Wochenschrift  
in Brieg. Ijeber den Werth methodischer Schwimmübungen sowohl bei Kindern wie bei Erwachsenen, beim männlichen wie beim weiblichen Geschlecht ist wohl kein Zweifel, und es erübrigt sich, ihren vortheilhaften Einfluss auf Entwickelung, Gesundheit und Wohlbefinden zu begründen. Gleichwohl giebt es eine Reihe von Krankheitszuständen, welche Schwimmübungen verbieten. Bekannt ist die von Trommelfeilperforationen drohende Gefahr, durch welche hindurch eine neue Infection der Mittelohrschleimhaut zu
more » ... ande kommen kann. Dieser Gefahr lässt sich jedoch durch einen festen Verschluss mittels eingefetteten Wattetampons im äusseren Gehörgange vorbeugen. So vortheilhaft Schwimmübungen gerade auf die Entwickelung und Leistungsfähigkeit dei' Lungen sind, erfordern doch überstandene oder drohende Lungenerkrankungen eine besondere Vorsicht, bezw. Aufmerksamkeit seitens der Hausärzte. Ich habe mehrmals Hämoptoü unmittelbar nach dem Schwimmunterricht auftreten sehen, so dass über den ursächlichen Zusammenhang kein Zweifel sein kann. Krankheiten der Kreislaufsorgane, insbesondere des Herzens, werden wohl nur ausnahmsweise methodischen Schwimmuriterricht, bezw. Schwimmübungen zulassen, Erkrankungen der Nieren ihn überhaupt verbieten. Ab und zu habe ich bei sonst ganz gesunden Individuen Wadenkrämpfe in derartiger Intensität während Sc.hwimmübungen auftreten sehen, dass das Schwimmen aufgegeben werden musste. Es ist nicht, meine Absicht, alle diejenigen Krankheitsznstände aufzuzählen, welche Schwimmübungen ausschliessen, noch umgekehrt diejenigen zu nennen, deren Bekämpfung gerade durch das Schwimmen vortheilhaft unterstützt wird, vielmehr möchte ich auf eine Beobachtung aufmerksam machen, deren Ergebniss im Stande sein kann, den Schwimmunterricht dem Lehrer wie dem Schüler zu erleichtern, bezw. einen Erfolg dort eintreten zu lassen, wo er gänzlich versagt schien. Ich habe häufig junge kräftige Leute (Soldaten) gesehen, die trotz absolut gesunder Lungen, gut entwickelter Muskulatur und bereits anderweitig bewiesener körperlicher Gewandtheit und Entschlossenheit das Schwimmen nicht erlernten, solange der Unterricht auch fortgesetzt wurde. Im Widerspruch zu ihren sonstigen körperlichen Leistungen war ihnen der Schwimmunterricht eine qualvolle Anstrengung, die ihnen nicht nur nicht Freude machte, sondern welcher sie sich nach Möglichkeit zu entziehen suchten. Die Erklärung findet sich, sobald man nicht bloss die übliche Untersuchung der Lungen, des Herzens, der Muskeln, bezw. Gelenke, sondern auch die der oberen Luftwege anstellt. Die wichtigste Voraussetzung für das Zustandekommen zweckmässiger Schwimmbewegungen ist die Möglichkeit vertiefter Athernbewegungen bei geschlossenem Munde. Wird der Mund offen gehalten, so tritt bald Wasserschlucken ein. Das Wasserschlucken bringt eine ganze Reihe von Erscheinungen, welche beim Schwimmschüler, d. h. demjenigen, der sich noch nicht selbständig über dem Wasser zu halten vermag, besonders störend wirken. Er versucht, das Wasser tinter Räuspern und Spucken wieder herauszubringen -Bewegungen, welche den zum Schwimmen erforderlichen ruhigen Athmungsrhythmmis und die notliwendige Vertiefung der Athembewegungen stören. Die Störung der Athmung wird noch auffälliger, wenn gar etwas Wasser in den Kehlkopf, bezw. die Luftröhre aspirirt worden ist und nun angstvoll herausgehustet wird. Nun lernt der Schwimmschüler wohl, durch festes Zupressen des Mundes das Wasserschlucken zu vermeiden. Indess jetzt gerade macht sich eine andere Störung bei Verengerung des Luftweges durch die Nase bemerkbar. Die für die vertiefte Athembewegungen erforderliche Luftmenge tritt zu langsam ein, die erforderliche vergrösserte Ausdehnung des Brustkastens bleibt ungenügend, das erforderliche Sauerstoffbedürfniss wird nicht befriedigt. Die in gleicher Weise behinderte Ausathmung führt zu einer COZ-Stauung, die in der cyanotischen Hautfarbe und dem ängstlichen Gesichtsausdruck unverkennbar wird; diese CO-Stauung führt fermier zu einer Ermüdung und Muskelschwäche, sodass nur noch minter verzweifelter Anstrengung wenig ausgiebige Schw immbewegungen ausgeführt werden, es tritt bald eine derartige Erschöpfung ein, dass eine Fortführung der Schwimmübung zu einer Qual wird, welcher sieh diese Schüler nicht selten mit allen Mitteln in begreiflicher Weise zu eutziehen suchen. Zwischen vollständig aufgehobener und freier Nasenathmung kann man dio verschiedensten Zwischenstufen finden, Ufl(l je enger die Nasenwege, desto mehr wird sich das Hinderniss für einen Erfolg des Schwimmunterrichts bemerkbar machen. Dass eine Freilegung des Nasenluftweges hier bald Abhilfe schafft, ist einleuchtend. Ich habe wiederholt nach derartigen Operationen die Scheu vor dem Schwimmunterricht beseitigt, gleichgiltig, ob das Hinderniss in Verbiegung der Nasenscheidewand, Schwellungen oder Neubildungen an den Muscheln oder Wucherungen im Nasenrachenraum bestand. Chronische Entziíndungszustände der Nase, selbst wenn der Luftweg noch genügend weit ist, können gleichfalls ein Hinderniss für zweckmässige Schwimmbewegungen sein. Eine Hyperästhesie der Nasenschleimhaut macht die unangenehmsten Empfindungen, sobald Wasser in die Nase dringt. Diese Schmerzempfindung beunruhigt den Schüler derartig, dass er über denselben ebenfalls die Ruhe verliert, zweckmässige Schwimmbewegungen fortzuführen. Auch hier lässt sich durch zweckmässige Behandlung der Nase Abhülfe schaffen. Zur Bestätigung möchte ich folgende Beobachtung anführen. Tm vorigen Winter behandelte ich eine 33jährige Dame wegen Bronchialasthmas. In der Nase zeigten sich erhebliche Muscheischwellungen, ferner bestand noch eine grosse Rachenmandel. Unaufgefordert fragte mich diese Dame, welche körperlich durchaus nicht ungewandt tiiid unentschlossen war, ob sie wohl aus dem Grunde, weil sie nicht ordentlich Luft durch die Nase bekommen habe, das Schwimmen nicht erlernt habe, obwohl sie sich die grösste Mühe gegeben und mehrere Sommer hindurch Unterricht gehabt habe. Die gegenwärtige Jahreszeit gicht nur Veranlassung, Hausärzte auf die vorstehende Beobachtung aufmerksam zu machen. Schliesslich möchte ich aber die Bemerkung nicht unterdrücken, dass nicht alle Misserfolge des Schwimmunterrichts durch F'reileguug der oberen Luftwege beseitigt werden, Wasserscheu und Uugeschickkeit werden durch sie nicht aus der Welt geschafft 568 DEUTSCHE MEDICTNTSCHE WOCHIENSCKR[FT. No. 35 Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.
doi:10.1055/s-0029-1203999 fatcat:k6cwbghebjh2rno6ij6rj2sldm