Kirchen als Organisationsform der Religion. Zeithistorische Perspektiven

Benjamin Ziemann
2019
Im Jahr 1963 veröffentlichte der Religionssoziologe Thomas Luckmann ein nur 83 Druckseiten langes Buch mit dem eher unscheinbaren Titel "Das Problem der Religion in der modernen Gesellschaft". Das schmale Bändchen war zunächst einmal ein Eingriff in eine aktuelle und kontrovers beurteilte Praxis: die Nutzung religions- und kirchensoziologischer Erhebungen und Daten als "Hilfswissenschaft", deren "Probleme", so Luckmann, "von den institutionellen Interessen religiöser Organisationen bestimmt"
more » ... den. Damit spielte Luckmann, der selbst empirische Erhebungen zur religiösen Praxis in protestantischen Gemeinden durchgeführt hatte, auf den engen "positivistischen" methodischen Rahmen vieler pastoralsoziologischer Untersuchungen an, die von katholischen wie protestantischen Bistümern seit Anfang der 1950er-Jahre durchgeführt worden waren. Solche Studien erhoben zum Beispiel Sozialdaten von Kirchenbesuchern oder Imagewerte verschiedener pastoraler Dienstleistungen, um den Bistumsleitungen Anhaltspunkte für die Neuordnung seelsorglicher Angebote zu liefern. Doch für Luckmann verfielen diese empirischen Erhebungen nicht nur wegen der kurzschlüssigen kirchlichen Verwertungsinteressen und ihrer Fokussierung auf klar operationalisierbare, durch Teilnahme am Ritual definierte Formen des Religiösen der Kritik. Problematisch erschien ihm mehr noch die damit verbundene Einschreibung in ein Säkularisierungsparadigma, das ganz eindimensional an der "zurückgehenden Reichweite der Kirchen" orientiert war.
doi:10.14765/zzf.dok-1685 fatcat:saxfxo4tibg2besrxok74c4rpi