Warum brauchen wir eine feministische Christologie?
Dorothee Solle
1993
Evangelische Theologie
I n ihrem Koalitionsvertrag vom März 2018 bekennt sich die deutsche Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD sowohl zur Geschlechtergerechtigkeit als auch zu einer nachhaltigen Entwicklung: "Gleichstellung von Frauen und Männern ist eine Frage der Gerechtigkeit. Sie ist Voraussetzung und Motor für nachhaltige Entwicklung und die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft, national und international" (Koalitionsvertrag 2018). Auch wenn die Regierungskoalition den Zusammenhang zwischen beiden
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... hemen benennt, bleibt sie es schuldig, konkrete Vorschläge zu präsentieren, wie Geschlechtergerechtigkeit und Nachhaltigkeit zusammengedacht werden können. Genug gesellschaftliche und ökologische Probleme drängen nach einer Lösung: Arbeit wird prekarisiert und flexibilisiert, Menschen verlieren durch Automatisierung ihren Arbeitsplatz -eine soziale Krise entsteht. Gleichzeitig offenbarte die globale Finanzkrise 2008 das Versagen der neoliberalen Institutionen. Das führte zu einer Krise der Demokratie und der Generationen. Verlorene Artenvielfalt, der Klimawandel, Nahrungskrisen und Degradierung der Böden verschärfen die ökologische Krise. Bisherige politische und wirtschaftliche Lösungsansätze betrachten diese sozial-ökologische Krise und ihre Ursachen nur verkürzt. Bereits seit den 1970er Jahren kritisiert die feministische Ökonomik die verkürzte Sichtweise ökonomischer Theorien (Bauhardt et al. 2010). In der kapitalistischen Marktökonomie wird Arbeit synonym mit produktiver, bezahlter Arbeit verstanden. Reproduktive Arbeit wie Kochen, Putzen, Kinderbetreu-ung und Altenpflege werden von der ökonomischen Sphäre marginalisiert und externalisiert. Diese Arbeiten werden bis heute sowohl im Privaten als auch in öffentlichen Einrichtungen überwiegend von Frauen übernommen (Ferrant 2014). Dieselbe Form der Externalisierung findet im Hinblick auf ökologische Reproduktivität statt. Sozial-weibliche und ökologische Reproduktivität sind jedoch die Grundlage des kapitalistischen Wirtschaftens. Ohne Pflege und Erziehung gibt es keine fähigen Arbeiter/innen. Ohne ökologische Ressourcen sind globale Warenströme nicht möglich. Durch permanentes Wachstum werden menschliche Sorgekapazitäten und ökologische Ressourcen immer intensiver genutzt. Wir stehen vor einer Krise der Sorge und der gesellschaftlichen Umwelt-und Naturverhältnisse (Floro 2012). Eine feministische Perspektive auf Nachhaltigkeit deckt die parallele Dynamik hinter der Übernutzung sozialer und ökologischer Kapazitäten auf -die doppelte Krise der Reproduktion. Nachhaltigkeit kann als Leitbild für Lösungsansätze beider Problemdimensionen im Sinne der geforderten Geschlechtergerechtigkeit dienen. Laut des Brundtland-Berichts beinhaltet eine nachhaltige Entwicklung, "dass die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt werden, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse zu beeinträchtigen" (Hauff 1987). Diese Definition verlangt sowohl inter-als auch intragenerationelle Gerechtigkeit und infolgedessen Geschlechtergerechtigkeit. Alternative Visionen von Arbeit und Wirtschaft, die zu einer nachhaltigen Entwicklung führen sollen, müssen daran gemessen werden, inwieweit sie reproduktive Tätigkeiten wertschätzen. Insbesondere feministische Ökonom/innen und Theoretiker/innen widmeten sich den sozialen Verhältnissen und hinterfragen Machtstrukturen unseres jetzigen Wirtschaftssystems. Damit liefern sie Einsichten zu der Frage, wie die doppelte Krise überwunden werden kann. Diese Ausgabe von ÖkologischesWirtschaften zeigt in unterschiedlichen Artikeln, warum Nachhaltigkeit und Gender zusammengedacht werden müssen, und weist auf blinde Flecken in bisherigen Debatten hin. Sie bietet einen Einblick in die Facetten der beiden Einführung in das Schwerpunktthema
doi:10.14315/evth-1993-0109
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