Out of the blue. Aus der Geschichte des Einfalls
Ulrike Zeuch
2010
Zeitschrift für Ideengeschichte
22 Eingeleitet sei die kurze Geschichte des Einfalls mit einem ikonischen Abfallprodukt geistiger Ausfälle, der sich im Kleinen Archiv des achtzehnten Jahrhunderts unter dem Titel Charlataneria eruditorum als ein Beispiel für Gelehrtensatire fi ndet. 1 Dem Studioso in loco secreto werden in dieser Anthologie ausgesuchter Scharlatanerien folgende Worte in den Mund gelegt: Der auf dem Secret gern Studierende. Hier stört mich niemand nicht in meiner Phantasie, Die Einfäll, so ich hab, kan man
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... effl ich nennen, Sie fl ießen auch ganz leicht und ohne sondre müh, Ob man die Ausfäll schon nicht vil wird loben können. Scheinbar nur ins Off gesprochen, markieren diese Worte mehr als lediglich die Fallhöhe zwischen dem durch einen Genius welcher Art auch immer inspirierten geistigen Einfall und dem sinnlich wahrnehmbaren Ergebnis: Sie benennen das Vermögen, dem etwas einfällt: die Phantasie. Sie nennen die Bedingungen, unter denen Einfälle gemeinhin statthaben: in der Abgeschiedenheit, allein mit sich, entspannt und mit vorrationalen Vorgängen der Seele befasst. Sie charakterisieren die Qualität des Prozesses: leicht, ohne Anstrengung, in einem Fluss. Sie machen deutlich, dass das Ergebnis dieses Prozesses nicht den Erwartungen der Öffentlichkeit entspricht. Und sie spielen mit den Mitteln der Guckkastenbühne, durch die der Leser oder Zuschauer zum Voyeur wird. Das tertium comparationis kommt dann von allein, das geistigen Einfall mit Verdauung in Beziehung setzt. Die Konstruktion einer Fallhöhe zwischen Erwartung und Ergebnis, gelehrter Sprache und mensch-allzumenschlichem Objekt sprachlicher Repräsentation, die Ausfälle poetischer Einfälle, das skatologische Spiel mit der Sphäre des Analen -all dies ist zumindest der grobianischen und burlesken Satire als Gattung eigen. Die Fastnachtsspiele des 16. Jahrhunderts sind voll davon. Grimmelshausen im Simplicissimus Teutsch spielt geradezu mit der alten Poeten schrecklich Einfäll und Wundergedichte, 2 sprich der Einfälle der antiken Autoren, um die polyhistorische Gelehrsamkeit seiner Zeit aufs Korn zu nehmen. Dabei unterscheidet er sehr wohl zwischen Einfällen, die der willkürlichen Einbildungskraft des Sub-1 Charlataneria eruditorum. Satirische und kritische Texte zur Gelehrsamkeit, mit einem Nachw. hg. von Alexander KoĆenina, St. Ingbert 1995 (Kleines Archiv des achtzehnten Jahrhunderts 23).
doi:10.17104/1863-8937-2010-3-22
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