Briefe aus London

1887 Deutsche Medizinische Wochenschrift  
Mit dem Wintersemester haben auch die medicinischen Gesellschaften, welche im Juli, August und September einen Soinmerschlaf halten, ihre Thätigkeit wieder aufgenommen. Hier wie anderswo ist es die jüngere Generation der Aerzte, welche am meisten zu sagen hat ulld mit Feuereifer an die Ausarbeitung von Vorträgen geht und an den Discussionen theilnimmt, während die ältere, erfahrenere und kühler gewordene Generation sich entweder ganz von diesen Versammlungen fernhält, oder einen durchweg
more » ... hen, oft destructiv kritischen Standpunkt einnimmt. Es kommen jedoch auch Ausnahmen von dieser Regel vor, und sind dann solche Gelegenheiten mitunter besonders interessant. So las in der letzten Sitzung der Medical Society of London Sir Andrew Clark eine Abhandlung über fäcale Anämie, und dürfte ein kurzer Bericht darüber den Lesern Ihrer Wochenschrift willkommen sein. Diese Art von Anämie findet sich gewöhnlich bei Mädchen zwischen 14 und 24 Jahren, also vom Anfang der Menstruation bis zur vollkommenen geschlechtlichen Entwickelung. Pat, erklärt gewöhnlich, dass ihr nichts fehlt, sieht aber sehr krank aus; ist, obwohl nicht abgemagert, sehr blass, hat einen traurigen Gesichtsausdruck, die Augen sind gross und vorspringend, die Bindehaut weiss und wässrig, Pupillen erweitert, Augenlider geschwollen, Lippen voll und blass, purpurfarbig, Backen von Zeit zu Zeit leicht gerötliet, aber Ohren und Nacken wachsfarbig, das Haar trocken und dünn. Befragt man sie, so klagt sie über Athemlosigkeit, Erstickungsgefühl, Herzklopfen, subjective Geräusche in den Ohren, pulsirende Kopfschmerzen, Schmerzen in der rechten oder linken Seite, Mattigkeit, Unbehaglichkeit, und häufige, aber vorübergehende Anfälle von Nervosität, Reizbarkeit und Leidenschaftlichkeit. Objectiv findet man die Zunge zuweilen rein, aber an der Wurzel belegt, an den Seiten gezackt und wässrig; der Athem übelriechend,
doi:10.1055/s-0029-1198132 fatcat:3g3slay24rhchc52unvo3gjc7q