Von der Qual und der Lust, Filme zu machen
[chapter]
Katharina Leube-Sonnleitner
2020
Jean-Luc Godard
Einleitung Ausgangspunkt meiner Überlegungen war eine überraschende Erfahrung, die ich bei gemein samen Sichtungen unter psychoanalytischen Aspekten mit mehreren KollegInnen und Aus bildungskandidatInnen machte, nämlich, dass sie den Film Le Mépris (Die Verachtung), der als stilbildendes Meisterwerk JeanLuc Go dards gilt, ein Werk mit einer durchgehenden Narration von berückender Schönheit, nicht mochten, teilweise sogar mit heftiger Ableh nung insbesondere der Protagonistin Camille (Brigitte
more »
... rdot) bis hin zu Abscheu reagierten. Mein Ansinnen, darüber ins Gespräch zu kom men, was die Besetzung der Rolle der Camille mit dem damals weltweit begehrtesten weibli chen Star der Filmbranche mit der Rolle, die sie spielt, und der Aussage des Films zu tun haben könnte, und dass Godard wohl bewusst mit dem Sexappeal der Ikone Brigitte Bardot spielt, wurde zurückgewiesen. Besonders die Frauen in diesen psychoanalytischen Arbeitsgruppen erlebten Camille als manipulativ agierendes Weibchen. Ihr Filmtod löste kein Bedauern aus, ja der ganze Film wurde als emotionsloses Lehrstück, als episches Theater erlebt. Ich selbst dagegen hatte mich sowohl bewegt als auch in tellektuell herausgefordert gefühlt. Der Filmwissenschaftler Norbert Grob meint: »Für Godard sind Frauen [...] ein un ergründliches Mysterium. Mal liebt er sie, mal hasst er sie, zu verstehen aber vermag er sie nie« (2010, S. 10). Ich glaube nicht, dass dies für Le Mépris zutrifft. Denn der Film geht im Gegensatz zu Alberto Moravias Romanvorlage Il Disprezzo (1954) empathisch und liebevoll mit der CamilleFigur um. Verblüffend ist je doch die Analogie dieser Einschätzung zu der Sigmund Freuds: »Über das Rätsel der Weiblichkeit haben die Menschen zu allen Zeiten gegrübelt [...]. Auch Sie werden sich von diesem Grübeln nicht ausgeschlossen haben, insofern Sie Männer sind; von den Frauen unter Ihnen erwartet man es nicht, sie sind selbst dieses Rätsel« (1933a, S. 120). Godards Frauen in seinen frühen Filmen sind lebendig bis anarchistisch, frech, unkonventi onell, lebenslustig und verraten oder verlassen gelegentlich den Mann. Ob man sie psycho logisch verstehen kann, interessiert Godard nicht. In jedem Fall sind sie immer sehr schön.
doi:10.30820/9783837977158-57
fatcat:iqktuu7uzrghji5b3fsrw7axju