Veränderungen auf vielen Ebenen
2016
Bulletin des Médecins Suisses
Menschen mit Hirnschädigungen haben mit ganz unterschiedlichen Beeinträchtigungen ihrer neuropsychologischen Funktionen zu kämpfen. Dadurch verändern sich ihre Bedürfnisse. Für Angehörige ist es oft schwierig, den hirnverletzten Menschen zu verstehen. Aufklärungsarbeit soll hier Abhilfe schaffen: Der Verein Denkwerk-Hirnverletzung Basel hat Erfahrungsberichte Betroffener herausgegeben. Das Gehirn des Menschen kann in vielfacher Weise geschädigt werden. Gewalteinwirkung (Unfälle), Herzleiden mit
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... Sauerstoffmangel (hypoxische Hirnschädigung), T umorerkrankungen des ZNS, entzündliche Systemerkrankungen mit Hirnbefall, intrakranielle Blutungen sind die häufigsten Formen und zeigen eine riesige Bandbreite bezüglich Ätiologie und Pathogenese. Alle möglichen Ursachen können eine bleibende Hirnschädigung zur Folge haben. Nicht nur die Ursache spielt bei der Beurteilung von Hirnschädigungen eine entscheidende Rolle, sondern auch die Lokalisation der Schädigung (Hirnstamm, Frontalhirn, Temporallappen, tiefe Strukturen etc.). Die Folgen einer Hirnschädigung lassen sich nicht kategorisieren. Häufige Beeinträchtigungen bei Hirnschädigungen sind: rasche Ermüdbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Aufmerksamkeitsprobleme, Orientierungsschwierigkeiten, W ortfindungsstörungen, Gedächtnisbeeinträchtigungen, Durchlässigkeit. Oft kommt es nach einer Hirnschädigung zur Entwicklung einer depressiven Störung. Auch die depressive Störung nach Hirnschädigung ist ein schwer fassbares Phänomen, wahrscheinlich liegt oft eine Kombination einer reaktiven (psychogenen) Depression mit einer hirnorganisch bedingten Entwicklung depressiver Symptome vor. Tatsache ist, dass sich eine depressive Störung bei Hirnschädigung eher als therapieresistent erweist. Das bedeutet, dass gerade bei Hirnschädigung eine antidepressive Kombinationsbehandlung nötig sein kann -ein unangenehmer Entscheid, da bei bereits geschädigtem Hirn der Einsatz von Psychopharmaka eine zusätzliche Belastung darstellt. Unsichtbare Schädigungen Als wäre es damit nicht genug, wird das Leben einer Person nach einer Hirnschädigung durch die Tatsache erschwert, dass oft wenig oder nichts von der Schädigung zu sehen ist. Die intellektuelle Leistungsfähigkeit muss nicht beeinträchtigt sein, sehr oft sind aber die Reizverarbeitung und die Fähigkeit zum Filtern (erhöhte Durchlässigkeit) derart verändert, dass eine quälende und anhaltende Erschöpfung respektive Ermüdung die Folge ist. Die uneingeschränkte intellektuelle Leistung kann zum Fehlschluss verleiten, es sei möglich, uneingeschränkt weiter zu arbeiten, beispielsweise in einer intellektuell anspruchsvollen Aufgabe. Das Umfeld kann nicht nachvollziehen, weshalb die Rückkehr in die Erwerbstätigkeit trotzdem nicht möglich sein soll. Wie aber soll die frühere Arbeitsbelastung bewältigt werden können, wenn zwar die intellektuelle Leistungsfähigkeit Zum Buch ... wieder leben lernen Verein Denkwerk-Hirnverletzung (Hrsg.) ... wieder leben lernen Hirnverletzte Menschen schreiben über ihren Weg. Basel: IL-Verlag; 2013. 142 Seiten. 25 CHF. ISBN 978-3-905955-80-4. In der Schweiz leben etwa 100 000 Menschen mit einer Hirnverletzung. Jedes Jahr erleiden 3000 Menschen neu eine Hirnverletzung durch Unfälle, und 15 000 werden betroffen durch Schlaganfälle, Hirnblutungen oder andere Ereignisse. Einschränkungen, die mit Verletzungen des Gehirns zusammenhängen, sind von aussen oft nicht sichtbar. Dies macht sie für Mitmenschen Betroffener schwer nachvollziehbar. Hirnverletzungen wirken sich auf alle Facetten des Menschseins aus. Menschen mit Hirnschädigungen müssen lernen, sich im Alltag wieder zurechtzufinden. Der Blick auf ihre Vergangenheit kann sich wandeln, aber auch die Zukunft hält Herausforderungen bereit, die nun anders bewältigt werden müssen. Um die Öffentlichkeit über das Leben von Menschen mit Hirnschädigungen zu informieren, hat der Verein Denkwerk-Hirnverletzung Basel das Buch ... wieder leben lernen herausgegeben. Betroffene berichten hier von ihren Erfahrungen.
doi:10.4414/bms.2016.04312
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