Die Verehrer des Dionysos in Etrurien [chapter]

Ingrid Krauskopf
2013
In der Schilderung der Vorgeschichte des Bacchanalien-Skandals berichtet Livius, daß die dionysischen Vereini gungen sich zuerst in Etrurien verbreitet hätten; dorthin ha be die geheimen Riten ein "Graecus ignobilis, sacrificulus et vates" gebracht (XXXIX 8,3). Zumindest der erste Teil dieser Aussage wird durch die archäologischen Befunde bestätigt, von dem unterirdischen ,Bacchanal' in der 'mai son aux Salles souterraines' in Bolsena über Inschriften auf Sarkophagen bis hin zu mehr oder
more » ... deutlichen Hin weisen in den Attributen der Deckelfiguren von Sarkopha gen und Urnen oder in der Dekoration der Sarkophagki sten. 1 Problematischer erscheint, was Livius im weiteren berich tet: der Kult sei früher nur von Frauen tagsüber (interdiu) an drei Tagen im Jahr ausgeübt worden, erst eine Priesterin aus Campanien, Paculla Annia, habe dies geändert, indem sie als erste auch Männer ihre Söhne einweihte (XX XIX 13, 89). Von da an sei der vorher ehrbare Kult immer mehr korrumpiert worden, mit den bekannten Folgen, die schließlich die römische Staatsautorität zum Einschreiten zwangen. An einer anderen Stelle, in der Rede des Konsuls Postumius Albinus vor der Volksversammlung, wird noch einmal betont, daß zuerst Frauen und dann auch weibische Männer ("simillimi feminis mares", XXXIX 15,9) dem Kult anhingen. Was hier ganz offensichtlich mit polemi scher Absicht vorgetragen wird, besitzt doch auch eine ge wisse historische Wahrscheinlichkeit, da generell Frauen im dionysischen Bereich eine weitaus größere Rolle spiel ten als im Kult irgendeines anderen männlichen Gottes. Teile des Dionysoskultes, vor allem die ekstatischen Tänze und die O reibasia, sprachen vor allem die Frauen an und wurden vielerorts von reinen Frauengruppen ausgeführt. O b dies auch für Etrurien galt, ist dem Bericht des Livius nicht zu entnehmen, da das zeitliche Verhältnis zwischen dem Eintreffen des "Graecus ignobilis" in Etrurien und der Veränderung des Kultes durch Paculla Annia nicht zu klären ist. O hnehin ist fraglich, ob beide Ereignisse über haupt in einem Zusammenhang stehen und Livius' Bericht nicht einfach mehrere, voneinander unabhängige Überlie ferungsstränge kompiliert. Angesichts dieser Unsicherheit liegt es nahe, die archäolo gischen Zeugnisse zu befragen. Für die hellenistische Zeit kommen dafür vor allem die bereits erwähnten Deckelfi guren von Sarkophagen und Urnen in Frage, in geringerem Maße auch die Reliefs der Kisten. Drei Texte, in denen mit dem Stamm "paXa" gebildete Wörter vorkommen, stehen auf Männersarkophagen, 2 bei Frauen ist bisher nichts Ent sprechendes bekannt. Auch die von G. Colonna zusam mengestellten 3 Deckelfiguren, die einen Kantharos -Krater statt der üblichen Phiale halten, sind größtenteils männlich, wobei bei den Sarkophagen das Verhältnis Män ner Frauen mit 6:4 noch relativ ausgeglichen ist, während auf den Urnen die Männer mit 15:2 überwiegen. Auch der Sarkophag von La Cipollara, auf dessen Kiste der Kantha-611 Originalveröffentlichung in: Aειμνηστoς. Miscellanea di studi per Mauro Cristofani, Bd. 2, Florenz 2005, S. 611-619
doi:10.11588/propylaeumdok.00001767 fatcat:jgs3wsco55ccnmub65ec3taklm