Die occupatio im islamischen Recht
F. F. Schmidt
1910
Der Islam
Die nahen Beziehungen der frühbyzantinisch-römischen Kultur, insbesondere des römischen Rechts im weitesten Sinne des Wortes, zu den Anschauungen des islamischen Kulturkreises, den Satzungen moslimischer Jurisprudenz sind anläßlich allgemeinerer historischen Untersuchungen bereits seit langem bekannt geworden *). Wiederholt schon ist darauf hingewiesen worden, wie die Araber die in den eroberten Provinzen vorgefundenen Einrichtungen verwaltungstechnischer wie juristischer Art von ihren
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... n ohne weiteres übernahmen. Insbesondere die Arbeiten BECKER'S zeigen, wie z. B. in Ägypten der ganze große Verwaltungsmechanismus auch nach der Eroberung zunächst seinen Gang weiterlief, wie zuerst nur die eine kleine Änderung eintrat, daß der Schriftwechsel mit der Zentralstelle, dem muhammedanischen Statthalter, allmählich sich arabisierte. Ebensowenig wie die Verwaltung verschwanden Sitte oder Kunst und Wissenschaft, insbesondere nicht das Recht, mit einem Schlage in den Wirren der Eroberung. Alles wurde von den Arabern zunächst übernommen, umgebildet nur soweit es Koran und Scheri'a forderten. Überall aberund nicht zum wenigsten im Recht -lassen sich die Reste der Kultur der Vorgänger nachweisen. Konnte man nun für die römische Zeit immer noch sagen, daß die Rechtswissenschaft lediglich Dienerin der Praxis, daß die uns überlieferte Theorie auch wirklich ein Ausfluß des durch die Praxis ange-0 Vgl. GOLDZIHER, Mohammedanische Studien, Halle 1889 ff. Bd. II, pg. 75 und die dort angeführte Literatur, insbes. VON KREMER, Culturgeschichte des Orients Bd. I< pg. 532. CHAUVJN, La constitution du code Thiodosien sur les agri deserti et le droit Arabe, Mons 1900. BECKER, Beiträge zur Geschichte Ägyptens, Straßburg 1902/3. Ders., Papyri Schott-Reinhardt I, Heidelberg 1906, pg. 35 ff. Ders., Christentum und Islam, Tübingen 1900. Ders., Die Entstehung von *Uschr und ffaragland, Ztschr. f. Assyriologie XVIII, 103 ff, Ders., Der Islam als Problem, Islam I. l ff. Straßburg 1910. Brought to you by | Nanyang Technological University Authenticated Download Date | 6/2/15 4:33 PM Die occupatio im islamischen Recht» 301 regten und gebotenen Stoffes gewesen sei, so ist ein solcher Sät» doch auch in Rom nur für den Regierungssitz, den Mittelpunkt der Verwaltung und Rechtsprechung, unbedingt gültig. Schon in der römischen Provinz gewann das römische Recht in der Praxis ein anderes Gesicht, wurde durch mancherlei Ortsgebräuche durchbrochen, ja selbst die kaiserlichen Reskripte fanden ihren Weg oft nur mangelhaft dorthin, \vofur sich auch im Laufe dieser Untersuchung ein Beispiel ergeben wird. Scharf unterscheiden aber muß · man zwischen Theorie und Praxis in islamischer Zeit 1 ). Hielt sich die Praxis der Rechtsprechung, der Verwaltung auch noch längere Zeit an das Vorgefundene, Übernommene, so ging, was bei dem spekulativen Geist des Orientalen nicht wundernehmen kann, die Theorie, die eigentliche Rechtswissenschaft, ihre eigenen Bahnen, Diese Sondcrung schließt keineswegs aus, daß nicht oft und nachhaltig gegenseitige Berührungen und Befruchtungen stattgefunden haben. Eine Untersuchung irgendwelcher Beziehungen zwischen dem Islam und Rom aber muß sich diesen Unterschied ständig vergegenwärtigen, um nicht in unlösbare Widersprüche verwickelt zu werden. So oft nun die juristische Praxis, einzelne historische Fakta und Rechtsübungen, Gegenstand der Beachtung gewesen sind, so selten sind die Versuche, auf rein juristisch konstruktivem Gebiete an einzelnen Begriffen etwa die Verschiedenheit und ' Verwandtschaft römischer und islamischer Jurisprudenz zu zeigen und, wenn möglich, auf ihre Ursachen zurückzuführen, zu erklären 2 ). Ein derartiges Unternehmen wird sich in zwiefacher Weise angreifen lassen. Die Hauptaufgabe sollte zunächst sein, die allgemeinsten Begriffe in ihren gegenseitigen Beziehungen festzustellen, vom Allgemeinen dann weiter auf das Besondere, auf einzelne Unterbcgriffc schließend. Somit würde zunächst Gegenstand der Untersuchung etwa sein müssen: der Vertrag, dann erst einzelne Arten der Verträge: Kauf, f ) Auf ein besonders eigenartiges Beispiel einer solchen Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis in der Jurisprudenz weist mich Herr Professor BEZOLD hin: Jn Abcsiynien enthalt das offizielle, um das Jahr 1560 verfaßte fclha nagast % das Buch der Könige, ganz bewußter*eise übernommene Rechtssätze de* römischen und kanonischen Rechtes, Indes hat diese Kompilation nie die heimlichen RcchUgcbriiuchc, die natürlich eine weit l&ngerc Geschichte hinter sich haben als dieses Gesetzbuch, zu verdrängen vermocht; vgl. Lnr-MANN, Gtuk* dtr äthiopitchen LUtroiuf^ Leipzig 1907 pg. 218, 259 und die dort weiter angeführte Literatur. *) Vgl» CiiAirvix a. a. 0. Die Arbeit YAH UCN UF.KG'S, De tontractu do ut den (Leiden |S6S) hat, -wie der Untertitel « der Kauf, das Vcräußcrungfcgcschaft, schon dartut, mit dem gleichnamigen Innommaticalkontrakt des römischen Rechtes nichts zu tun, ivt lediglich ein vcrlcitlkber Aufdruck in dem Bemühen, tine prägnante lateinische Übersetzung zu finden. Vgi, a, a. ö. pg. 28. l »Um, I. s l Brought to you by | Nanyang Technological University Authenticated Download Date | 6/2/15 4:33 PM 302 F.F.Schmidt, Darlehen usw., oder sachenrechtlich etwa: Eigentum und Besitz, und dann erst Übertragung, Entstehung, Änderung des Eigentums usw. Nur zu oft freilich wird eine derartige Untersuchung nicht nur an der Überfülle des bisher fast völlig ungesichteten Materials, sondern vor allem an rein sprachlichen Schwierigkeiten, an der Ungenauigkeit und Umständlichkeit der arabischen Juristensprache scheitern. Wurde doch das Arabische, Sprache und Wissenschaft, die eine Unzahl Ausdrücke für fest eingebürgerte semitische Rechtsbeziehungen bereits kannten, bei der Eroberung vor die schier unlösbare Aufgabe gestellt, nicht nur etwa rein übersetzend oder als Fremdwörter eine Fülle fremden Sprachgutes sich anzueignen, sondern auch für die neuen Beziehungen der neuen Untertanen die zutreffende koranische Regelung und Satzung, eine richtigo Beschreibung und Festlegung zu finden. So mußte der Begriff milk (viXJU), der ursprünglich das Herrschaftsverhältnis zu einer Sache ausdrückte, sowohl das römische dominium, wie die detentio in sich aufnehmen; war eine Unterscheidung erforderlich, so wurde detentio mit jad (ju) Hand wiedergegeben 1 ). Erweist sich der Weg der Deduktion als nicht gangbar, dann wird man der ändern Möglichkeit sich zuwenden und versuchen müssen, an der Hand einzelner besonderer, vielleicht auch besonders verwickelter Rechtseinrichtungen die nahe Verwandtschaft der beiderseitigen Satzungen und Auslegungen zu zeigen. Erinnert sei etwa an die prozessuale Beweisregel: affirmanti incumbit onus probandi und die zahlreichen ändern Beispiele, die GOLDZIHER uns aufgezeigt hat 2 ), ferner an emphyteusis und ikfä 1 3). Die so an Einzelbeispielen festgelegten Ergebnisse werden dann später der Induktion die Wege ebnen. Im Nachstehenden soll nun der Versuch gemacht werden, Materialien für die deduktive Untersuchung zu-liefern, an einem der Grundbegriffe des Sachenrechts, dem der occupatio, einem der Erwerbsgründe des dominiums, zu zeigen, wie auch hier die starke Beeinflussung durch die römische Rechtswissenschaft und Gesetzgebung ganz unverkennbar ist. -Dabei ist zweierlei zu beachten. Je allgemeiner, je umfassender ein juristischer Begriff ist, desto später wird er sich als solcher in der römischen Rechtsliteratur finden, denn die römische Rechtswissenschaft diente in erster Linie den Bedürfnissen des Verkehrs, sie leitete allgemeine Begriffe nur aus dem Einzelfalle ab. 'Ergeben sich Unstimmigkeiten x ) JUYNBOLL, Handbuch des islamischen Gesetzes nach der Lehre der schaföitischen Schule u. s. w., Leiden-Leipzig 1909 ff. pg. 262, Anm. i, 266. ») GOLDZIHER, a. a. 0. Bd. II, pg. 76. 3) BECKER, Z. Ass. XVIII, 112. Brought to you by | Nanyang Technological University Authenticated Download Date | 6/2/15 4:33 PM Die occupatio im islamischen Recht. zwischen arabischer und römischer Jurisprudenz, in der Ausgestaltung, wie sie uns jetzt vorliegt, so kann das einen doppelten Grund haben. Einmal mögen damit wirklich fundamentale Unterschiede zweier Volksanschauungen aufgedeckt sein; aber es kann dieser Unterschied auch darin begründet sein, daß der entsprechende römische Begriff sich nachträglich, d. h. nach seiner Übernahme durch den Islam, weiter entwickelt, geändert hat oder erst später, im Anschluß an bereits entschiedene· Einzelfälle festgelegt worden ist. Man wird daher weiterhin zu untersuchen haben: wann und wie hat sich im römischen Rechte, und besonders wieder im Recht und der Rechtsübung der östlichen Provinzen, dieses Institut, dieser Begriff, entwickelt, wird nötigenfalls auf ältere Quellen zurückgehen, wird versuchen müssen, solche Einzelfälle miteinander zu vergleichen. Mit ändern Worten: für derartige Untersuchungen wird nicht sowohl das Corpus juris justinianei, das im Anschluß zwar an alte Formulierungen, doch immer neues Recht uns bietet, maßgebend sein. Vielmehr werden vorhergehende Gesetzgebungen und Rechtsbücher, vor allem auch das Recht der Kirche, weitgehend zu berücksichtigen sein. Diese Untersuchungen werden allerdings nur zu häufig an der Sprödigkeit des Materials scheitern müssen. So manche Frage wird lediglich gestellt, wird weder im bejahenden noch im verneinenden Sinne beantwortet werden können. Auch ist zu beachten, daß man, die Übernahme römischer Jurisprudenz in die arabische Wissenschaft einmal vorausgesetzt, dabei naturgemäß mehrere Gruppen von Beziehungen wird unterscheiden müssen: Zunächst kann einmal die römisch-rechtliche Praxis, sei es die des Reiches, sei es die provinziale, kirchliche oder profane, die islamische Rechts Übung beeinflußt haben. Solche Beeinflussungen können stattgefunden haben schon auf die Araber der vorislamischen Zeit und in verstärktem Maße nach den großen Eroberungen. Sie erstreckten sich im wesentlichen wohl auf Handel und Wandel, Verkehrsgepflogenheiten; zur Zeit der Eroberungen auf Staats-und Verwaltungsrccht. Auch der umgekehrte Weg ist denkbar, die Übernahme semitischer Rechts Vorstellungen ins Provinzialrecht und weiter ins Reichsrecht Diese Beziehungen interessieren hier indes nur in zweiter Linie. -Eine andere Gruppe bilden die direkten Beziehungen und Abhängigkeiten zwischen der römischen und islamischen Theorie, auf dem Wege der Beschäftigung der Araber mit den römischen und griechischen Wissenschaften. -Dazwischen vermittelnd gleichsam steht d i e islamische Rechtswissenschaft, die aus der damals herrschenden Praxis ihre Theorie ableitete und so, wenn auch durch islamische und korani-21'
doi:10.1515/islm.1910.1.3-4.300
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