Das deutsche Bildungsbürgertum und die digitale Zukunft [chapter]

Jürgen [Hrsg.] Mittelstraß, Ulrich [Hrsg.] Rüdiger
2017
Murnau am Staffelsee, Ende März 2015-Eine für Kleinstadtverhältnisse gut bestückte Provinzbuchhandlung mit einer ihrer vielen Auslagen für diejenigen Sachbücher, von denen sich die Geschäftsleitung guten Verkaufserfolg verspricht. Es sind historische Werke dabei, alt gewordene Politiker geben ihre Auffassungen zu den Weltläuften ab, unvermeidbare Gegenwartskommentatoren beschweren sich über den Tugendterror, und auch die Wegwerfgesellschaft steht am Pranger. Die größte Gruppe von Büchern aber
more » ... t dem gewidmet, was man die moderne Digitalgesellschaft nennen könnte. Folgendes lässt sich hier ausmachen: 173 Originalveröffentlichung in: Mittelstraß, Jürgen ; Rüdiger, Ulrich (Hrsgg.): Die Zukunft der Wissensspeicher : forschen, sammeln und vermitteln im 21. Jahrhundert, Konstanz 2016, S. 173-180 (Konstanzer Wissenschaftsforum ; 7) Hubertus Kohle In der Mitte rechts Manfred Spitzers schon drei Jahre alter Bestseller zur "Digitalen Demenz", dessen Titel eigentlich schon alles sagt, insbesondere dann, wenn man den Untertitel noch hinzunimmt: "Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen". Glaubt man Spitzer, machen digitale Medien süchtig, sie schaden Körper und Geist, und sie sind lernfeindlich. Digitaladepten stumpfen ab, werden gewalttätig und schlafen schlecht. Ganze Heerscharen von verängstigten Eltern, deren vielleicht sogar allzu ausgeprägtes Engagement für Wohl und Erfolg ihrer Kinder in der Gegenwart ja schon notorisch geworden ist, haben ihre diffusen Ängste vor den ihnen unheimlichen Neuen Medien in den Analysen des bekannten Hirnforschers bestätigt gefunden und versuchen jetzt, daraus ihre Konsequenzen zu ziehen. Ob sie es mit Erfolg tun, darf man angesichts der Tatsache in Zweifel ziehen, dass anderweitig unbeschäftigte Jugendliche etwa während einer Straßenbahnfahrt heutzutage mindestens zu 80, eher zu 90 % mit ihrem Smartphone beschäftigt sind. Bert te Wildt, in unserm Büchertisch oben links, setzt hier -auch in seinem noch unzweideutigeren Titel -noch einen drauf: "Digital Junkies" sind für den Bochumer Arzt derartig verpeilt, dass sie praktisch und emotional unfähig sind, in der Realität zu überleben. Andre Wilkens (links unter te Wildt) ist mit seinem "Analog ist das neue Bio" weniger radikal, aber auch sein Titel ist schon sprechend genug: Ins echte Leben kehrt man dort zurück, wo man das Internet hinter sich lässt und wieder wirklich Greifbares in die Finger bekommt. Und so geht es weiter: Wenn Harald Welzer (auf dem Büchertisch oben rechts) vom Widerstand redet und zum Selbst-Denken auffordert, dann meint er eben gerade die digitalen Medien und ihre Silicon-Valley-Protagonisten, denen dieser Widerstand gelten muss, und die Tatsache, dass Google und Konsorten das Denken irgendwie in sich aufsaugen. Und dann die Überwachungskritiker, an erster Stelle Glenn Greenwald mit seinem Buch über Edward Snowden und die digitale Überwachung (zweite Reihe, etwas nach links verrückt), aber auch ein gewisser Markus Morgenroth mit seinem reißerisch formulierten Titel "Sie kennen Dich, sie haben Dich, sie steuern Dich: Die wahre Macht der Datensammler" (unter dem Buch von Greenwald) und das nicht minder apokalyptisch "Der NSA-Komplex: Edward Snowden und der Weg in die totale Uberwachung" genannte Buch rechts neben Greenwald auf dem Büchertisch. Und ganz links ziemlich unten dann der Megaseller des vorletzten Jahres, Frank Schirrmachers "Ego: Das Spiel
doi:10.11588/artdok.00005376 fatcat:346bbdpav5hebcpr3hl3kdebca