Markige Merkel-Kritik: pure Polemik?
Eckhard Jesse
2012
Zeitschrift für Parlamentsfragen
die selten ein Blatt vor den Mund nimmt, gehört zu den führenden Intellektuellen Deutschlands . Ihr neuestes Buch ist in die Bestsellerliste vorgestoßen . Darin übt sie mehr scharfe als scharfsinnige Kritik an der Bundeskanzlerin . Deren Überzeugung bestehe darin, keine Überzeugung zu haben . Die konservative Autorin polemisiert in einer pauschalen Art und Weise derart (der Titel ist Programm), dass sie ihr bedenkenswertes Kernargument, Angela Merkel sei macht-, nicht wertebewusst, selber
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... ftet . Der Leser erfährt wenig über die Politik Merkels, etwas über ihre Persönlichkeit und -indirekt -viel über die Autorin, die der Kanzlerin eine "freibeuterische Machtmentalität" bescheinigt . Höhlers Schilderung der "Präsidentendämmerung" ist treffend und tendenziös zugleich . In diesem "Drama in drei Akten" (S . 195) zeigt sie, wie das Präsidentenamt von Merkel als eine Art Manövriermasse verstanden wird . Als Antipode zur Kanzlerin firmiert die Lichtgestalt Joachim Gaucks . Er sei ein Freund der Freiheit, Merkel nicht . Was sie über ihn sagt, trifft ins Schwarze, doch ob Merkel Gauck wegen seiner Freiheitsliebe nicht als Bundespräsidenten präferiert hat? Vielleicht wollte sie ihren Fehler von 2010 (sie setzte auf Wulff statt auf Gauck) bloß nicht zugeben . Höhlers Kritik am plötzlichen, nicht so recht nachvollziehbaren Atomausstieg nach der Katastrophe von Fukushima ist berechtigt, (die deutschen Kernkraftwerke liegen in keiner Erdbebenzone), aber keineswegs die mitunter gehässige Art und Weise, wie sie diese vorbringt, wenn es etwa heißt: "Wer sich Demokratie nicht mehr leisten kann, um an der Macht zu bleiben, sollte nicht an der Macht bleiben ." (S . 211) Die Autorin, die in Schwarz-Weiß-Kategorien denkt und (gute) Sachpolitik gegen (schlechte) Machtpolitik ausspielt, unterstellt Merkel nicht nur machtpolitischen Opportunismus, sondern auch die Außerkraftsetzung parlamentarischer Prinzipien . "Deutschland lässt sich ohne Widerstände autoritär regieren, das beweist die 'Energiewende' bestürzend deutlich ." In einer Überschrift ist provozierend sogar von einem "Staatsstreich als Chefsache"(S . 261) die Rede . Höhler, die ihrem Buch die folgende -verräterische -Widmung vorangestellt hat: "Für alle, die die Faust noch in der Tasche haben" (S . 5), rechnet mit dem "System M" ab, etwa mit Merkels Behauptung, diese oder jene Entscheidung sei "alternativlos" . Übel sind ihre Ressentiments gegen den Osten ("Frau aus Anderland", S . 71) . Sie erklärt das vorsichtige Verhalten der "Newcomerin" stark mit ihren Prägungen aus der SED-Diktatur . Was unter anderem verstimmt, ist die oft überheblich daherkommende Attitüde ("Aufsteigerin im Kostüm des Landeskindes", S . 35) . "System M" -diese Wendung durchzieht das Werk wie ein roter Faden . Der Rezensent hat das Zählen aufgegeben . Bei den Untertiteln kommt der Terminus immerhin dreimal vor . Höhler hat mit ihrem -zugegeben -geschliffen geschriebenen Buch den Kritikern Angela Merkels, und es gibt deren viele, einen Bärendienst erwiesen . Doch sollte eine Stilistin und eine Person wie sie, die die Fahne der Freiheit hochzuhalten sucht (die Liberalen gelten als REZENSIONEN
doi:10.5771/0340-1758-2012-4-915
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