Liebesgaben im Handel mit Nahrungs- und Genußmitteln. II

J. Rühle
1916 Angewandte Chemie  
Seit dem Erscheinen des ersten Aufsatzes hieruberl) ist eine geraume Zeit verstrichen. Es war inzwischen Gelegenheit, mehr als genj;-..nd Stoff zu sammeln, um wieder znsammenfassend iiber die Entwi.hng, die inzwischen auf diesem Gebiete vor sicli gegangen ist, zu berichten. Es kommt Iinzu, daO in neuester Zeit drei zusammengehorige Bekanntmachungen des Reichslranzlers erscliienen sind, die den Zweck verfolgen, den Verkauf von Naliungs-und GenuBmit,teln unter unzureichender Kennzeichnung und
more » ... r irrefiihrenden Bezeichnungen uberhaupt und insbesondere von minderwertigen Nahrungs-und GenuBmitteln zu unterbinden. Damit ist, der im ersten Aufsatze bereits beleuchtete Mangel des Nahrung~:mittelgesetzes vom 14./5. 1879 beseitigt, und es ist anzunehmen, daB nun die scliwesen RliBst Lnde, die sich auf deiu llier zur Besprechung gelangenden Gebiete einstellen konnten, bald wieder verscliwinden werden. Und damit wird die Frage der "Liebesgaben", die infolge der friiher bereits gescllilderten unerfreulichen Begleitumstande die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, wohl endgiiltig zur Zufriedenheit der Verbraucher und der redlichen Hersteller geliist sein. Fiir gnte und brauchbare Erzeugnisse und Zubereitungen auf -dem Gebiete der Nahrungs-und G e n u h i t t e l , clie in groBer Zahl hergestellt werden, wird damit nach dem Verscliwinden des unlauteren Wettbewerbes durch minderwertige und irrefiihrend Iiezeichnete Nahrungs-und GenuBmittel die Bahn frei. Es ist seit dem Erscheinen des ersten Aufsatzes iiber "Liehesgaben" nicht zu verkennen, dnB das Bestreben, Zuhereitungen herzustellen, die in erster Linie fur den Gebraach im Fe.lde bestimmt sind, abgeflaut ist, wohl als Folge der Anteilnahme, die die Nahrnngstuittelkontrolle trotz aller bisher ent,gegensteliende.n Schwierigkeiten solchen Erzeugnissen zugemandt hat,. Bn deren Stelle sind Erzeugnisse und Zubereitungen in groBer Zahl in den Verkehr gelangt, die ziir Verwendung im Felde und in der Heimat geeignet sind, zuin groBeren Teile wohl nur in letzterer. Es sind zum Teil Ersatzzubereitungen fiir infolge der wirtscliaftlichen 'Verhaltnisse teiler gewordene und damit dem groheren Teile der Bevolkerung nicht mehr arreichbare Nahrungs-und GenuBmit,tel. Der Begriff "Liebesgaben" hat damit f i r die jetzt in Frage kommenden Waren seine Bedeutung verloren und mird deshalb besser fallen gelassen. Die RIiBstiinde, die friiher bereits fur die eigenthhen Liebesgaben besprochen narden, sind indes geblieben und sollen nn Hand der inzwischen neu in den Verkehr gelangten Erzeugnisse und Zcbereitungen nochmals erortert werden. Daran anschlieBend, sind die drei genannten Bekanntmachungen dcs R.eichskanzlers nnch Inhalt und ihrer voraussichtliclien Wirkung lrurz darzulegen. 1. W u r s t , F 1 e i s c h e r s a t z m i t t e 1, B u c h s e nk o n s e r v e n m i t F l e i s c h. Die W ii r s t e hahen im allgemei- nen an Giite ganz hedeutend abgenommen; zii ihrer Bereitung dienen, wie beknnnt sein diirfte, von Bestandteilen des tierischen Korpers gehacktes, vollwertiges Fleisch fur sich oder im Gemisch mit .mindenvertigem, ah solchem sclilecht verkiluflichem Fleische, wie Bauchmuskel, IIals usw., ferner Schlnchtabfalle, wie Blnt, Leber, Lunge, Herz, Niere, Fett, Him, Znnge, Knorpel, Sehnen. Es war nun die Beobachtung zu machen, daB'der Gehalt der Wiirste an Fleisch abnahm, der Gehalt an minderwertigen Schlachtabfiillen dagegen sich stindig vergrobrte, und es ltonnen z. B. Blutwiirste gefunden werden, die hauptsachlicli ails Blnt hestehen, wiihrend dieses bisher nur mehr als Bindemittel diente, und ferner Leberwiirste, die keine Spur von Leber enthalten. Trotzdem werden solche rninderwertigen Wurste zu den jeweils festgesetzten Hoclistpreisen verkauft, 1 ) Angew. Chem. 28, I, 449 [1915]. Angew. Chem. 1916. Aufmtzteil ( l . Band) zu XI 83. werden also ihrem tatsachlichen Werte nach bedeutend ubenahlt. Eingeliend erortern cliese Verhalt'nisse S e e 12) und S e e 1 und S o h ub e r t3) unter besonderer Berucksichtigung siiddeutscher Verhiiltnisse. Der Fettgehalt der aus Rind-und Schweinefleisch hergestellten Fleischwiirste, die sonst 20-30y0 Fett enthielten, fie1 bis auf 3% in einigen Fallen ; vielfach war damit keine entsprechende Zunalime des EiweiBgehaltes (Muskelfleisch) verbunden, sondern es war an Stelle des ausfallenden Fettes Wasser getreten, dessen Gehalt von etwa 60-700/, auf 80% und mehr anstieg. Dabei waren diese Wiirste teurer als in Friedenszeiten. Eine ausgiehigere Verwendung von Blut bei der Herstellung von Wurst kann in gegenwartiger Zeit natiirlich nur enviinscht sein, indes darf sie niclit mit einer Ulrerteuerung der KLufer verbunden sein, a:ich ist dabei zu berucksichtigen, daB viel Blut und damit viel Wasser ent.haltende Wiiiste leichter dem Verderhen ausgesetzt sind als Wurste mit, geringerem, normnlem Wassergehalte. V o n F 1 e i s c h e r s a t z m i t t e 1 ngibteseineganze Zahl. Vielfach sind es geschrotene Gemenge \-on Mais, Weizen, Gerste, Erbsen, Eartoffelnalzmehl, Nussen in wechselndem Verhaltnisse unter Znsatz von Gewurzen und Salz, wie sog. "Kotelettmasse", "Bratenmasse", "Bratoh" u. a. Andere Ersatzmittel, n4e z. B. sog. "Vegetabilischer Aufschnitt," sind nach Art des Biichsenfleisches oder der Sulze zubereitot. Der Niilirwert dioser Erzeugnise ist im Vergleich mit magereni Fleische, mit Clem sie infolge ihres nur geringen Gehaltes an Fett vergliclien werden miissen, nur gering, indes muB man sicli bei ihrer Beurteilung gegenwiirtig halten, da8 es eken nur Ersatzmittel sein sollen, und basonders anf den Preis achten, der natiirlicli dem Werte, den das Erzeugnis f i i i den KGufer hat, entsprechen muB. Haufig sind die Preise fur solche Ersatzmit.tel zil lioch, zum Teil wohl infolge der erheblichen fur Anpreisung und Vertrieb aufzumendenden Kosten; sic iibersteigen selbst den fur Fleisch festgesetzten Preis. Da diese, wie i~iich alle anderen Ersatzmittel und sog. "LieLesgaEeri", hinsichtlich ihrer Zusammensetzung sehr schmanken, und ihre Bezeichnungen iifters zu wechseln scheinen, so haben Angahen iiber die Preiswiirdigkeit der einzelnen Mittel kaum einen Wert, und e.s muB nac.h diesen nllgemeinen Hinweisen dem Kaufer jeweils iiberlassen werden, sich seine Berechnung selbst zii machen und dahei nach einer im Kgl. Bayerischen Staatsanzeiger Nr. 43, vom 2242. 10164) erlassenen "Warnung" vor Ersat,zmitteln stets eingedenk zu sein, grundslt,zlich Ersat.zst.offe fiir Lebensmit.t.el nur d a m zu verwenden, wenn sio wesentlicli biliiger sind 81s das Vorbild, oder wenn dieses nur schwer oder gar nicht zii beschaffen ist. B ii c 11 s e ii k o n s e r v e n m i t F 1 e i s c h sind fert.ige Gerichte, die nach dem Anwarmen in der Biichse unmittelhar genuBfertig sind. Es sind zum Teil brauchbare, preisiverte Zubereitungen. zUm Teil tritt aber der Gehalt an Fleiscli ganz erheblich zuriick, so daB der geforderte Preis in gar keinem Verhaltnisse mehr zum tatsachlicken Werte stelit. ,4n Zubereihngen dieser Art finden sich angefiihrt: "Schinken-Malikaroni mit Tomatenhriihe", von denen zmei Pfundlriichsen je nur 131 und 17,5 g Scliinken enthielten, "Fleischsalat mib Bohnen" niit 27,3 g Fleisch zweiter Sorte, "Schweinefleisch oder \Yiirst,chen mit Sauerkraut," mit 38-70 g Fleischs). ,
doi:10.1002/ange.19160298302 fatcat:zgnfdla7kbcvnoqmwgr7cdkwca