Narben werden immer bleiben. Interview mit Dr. Julia Harsch, Schweizerisches Rotes Kreuz

Redaktion Jour! Psychotherapie-Berufsentwicklung, Leibniz Institut Für Psychologische Information Und Dokumentation (ZPID)
2020
Frau Harsch, Sie sind Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und ärztliche Leiterin des Ambulatoriums für Folter-und Kriegsopfer des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) in Bern. Wie muss ich mir das Ambulatorium SRK vorstellen? Wir sind ein kleines Team, aktuell bestehend aus zwei Ärztinnen, drei Fachpsychologinnen für Psychotherapie, einem Kinder-und Jugendlichentherapeut, fünf Sozialarbeiterinnen, drei Mitarbeiterinnen mit überwiegend administrativen Aufgaben und unserer Leiterin, die
more » ... benfalls keinen therapeutischen Hintergrund hat. Wir sind eine spezialisierte Einrichtung unter dem Dach des SRK und arbeiten interdisziplinär. Historisch gesehen ist vielleicht interessant, dass wir die erste Einrichtung in der Schweiz waren, die auf die Behandlung von traumatisierten Flüchtlingen und Folter-und Kriegsopfern spezialisiert waren. Einer durch das SRK in den 1990er Jahren in Auftrag gegebenen Studie zur Situation von Flüchtlingen in der Schweiz zufolge, hatte damals ein Viertel aller Flüchtlinge Erfahrungen von Folter oder Krieg erlebt, woraufhin unser Ambulatorium gegründet wurde. Woher kommen die Leute, die Sie behandeln und wer sind sie? Wir behandeln Frauen, Männer, Kinder, ja ganze Familien. Die Herkunftsländer haben sich seit den 90er Jahren deutlich verändert, wobei man sagen muss, dass aufgrund der langen Behandlungsdauer unserer Patientinnen und Patienten deren Verteilung in Bezug auf die Herkunftsländer nicht die aktuellen Trends der Flüchtlingsströme widerspiegeln. In den letzten ein, zwei Jahren kamen viele Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und Eritrea. Zahlenmässig am häufigsten behandeln wir Kurdinnen und Kurden aus der Türkei, aber auch dem Irak oder Syrien. Teilweise sind sie schon seit Jahren in der Schweiz und in langjähriger Behandlung bei uns. Wir behandeln anerkannte Flüchtlinge, erhalten aber auch viele Patientinnen und Patienten zugewiesen, die noch im Asylprozess sind. In den Asylzentren leben die Menschen in sehr engen Verhältnissen und mit der riesigen Unsicherheit, ob das Asylgesuch anerkannt wird oder nicht. Die damit verbundenen Belastungen führen häufig zur Dekompensation, sodass die Menschen psychisch auffällig und uns frühzeitig zugewiesen werden. Wenn die Flüchtlinge an der ugandischen Grenze ankommen, werden sie zuerst in ein sogenanntes Registrierungscamp auf der Grenze zu Südsudan gebracht und von der ugandischen Regierung registriert. Rotkreuz-Mitarbeiter leisten einer Mutter mit ihren Kindern medizinische Hilfe.
doi:10.23668/psycharchives.3647 fatcat:464rb4yw6bf3lgmbrzota7l64i