Michael Gagarin, Paula Perlman: The Laws of Ancient Crete c. 650–400 BCE

Stefan Link
2017 Gnomon. Kritische Zeitschrift für die gesamte klassische Altertumswissenschaft  
Das griechische Kreta, das lange im Schatten des minoisch-mykenischen stand und daher eher sporadisch behandelt wurde, erfreut sich in der althistorischen Forschung der letzten Jahre einer wachsenden Beliebtheit. Mit den 'Laws of Ancient Crete' legen die Verfasser nun im Abstand von nur wenigen Monaten zu der Habilitationsschrift von Gunnar Seelentag 1 die nächste große und bewusst für ein breiteres historisches Publikum konzipierte Monographie zu diesem Themenbereich vor. Ihren Hauptteil
more » ... die Sammlung der kretischen Gesetzestexte aus der Zeit des 7., 6. und 5. Jh. v. Chr. Aufgenommen wurden zwar nicht durchweg alle Inschriften, wohl aber all diejenigen, deren erhaltener Wortlaut noch irgendwie erkennen lässt, dass sie rechtliche Sachverhalte behandeln. Die Auswahl ist damit so vollständig, dass das Ziel der Verf., «to provide a foundation for others to build on» (S. IX), zweifellos erreicht wird. Dazu tragen nicht zuletzt auch der Umfang und die Komplexität der Sammlung bei: Im Anschluss an eine kurze Einleitung zur jeweiligen Stadt bietet sie eine kleine Karte, die erhaltenen Texte, Angaben zu Erhaltungszustand und Fundsituation, Umzeichnungen und/oder Fotografien, eine Übersetzung, die wichtigsten bibliographischen Verweise sowie ausführliche 'notes' (zu rein epigraphischen Aspekten) und einen äußerst hilfreichen, durchweg pointierten Sachkommentar, der auch kurzgefasste, zumeist aber dennoch tiefergehende Auseinandersetzungen mit abweichenden Forschungspositionen umschließt. Hier gelingen immer wieder (teils überraschende, aber unmittelbar einleuchtende) Deutungen einzelner Gesetze oder Gesetzesteile (vgl. etwa S. 340. 369). Gleichzeitig verzichten die Verf. aufgrund methodischer Vorsicht auf Festlegungen, wo ihnen der Sachverhalt zu unsicher scheint. Insbesondere im Fall des vielbehandelten Großen Gesetzes aus Gortyn wirkt dies allerdings bisweilen etwas unbefriedigend (s. etwa S. 341. 365. 371f). Die vier Indizes erleichtern die Arbeit mit der Sammlung ebenso wie die Tatsache, dass sich die Verf. an die Vorgabe von Guarducci angelehnt und bei der Nummerierung der Inschriften in leichter Adaption die Zählung der IC übernommen bzw. ergänzt haben. Der bereits genannten, selbstgesteckten Aufgabe, den Zugang zu dem reichen inschriftlichen Material der Insel Kreta zu ebnen und so zugleich eine Grundlage für zukünftige Forschungen zu legen, genügt das Werk in hohem Maße. Unter historischen Aspekten ist indessen auch von Interesse, was die Verf. im Rahmen der 143 (!) Seiten umfassenden 'Introduction' bieten -einer Einführung in 10 Kapiteln und zahlreichen Unterkapiteln, die im Grunde ein eigenes kleines Buch darstellt. Sie erschließt das griechische Leben auf Kreta umfassend, behandelt sie doch nicht nur die archäologische Vorgeschichte und den archäologischen Hintergrund für die Zeit vom 12. bis ins 6. Jh. v. Chr. sowie sprachliche Besonderheiten der kretischen Inschriften, sondern auch und insbesondere den ganzen staatlichen und gesellschaftlichen Rahmen: herrschaftliche Institutionen wie Polis, Räte und Ämter, personalrechtliche Status wie Sklaven, Freie, Frauen usw., privatrechtliche ('family') und gesamtgesellschaftliche Institutionen (Hetairien,
doi:10.17104/0017-1417-2017-6-524 fatcat:2o3lenoy4bfypeykb3am2scunm