Die Eibe – eine mitunter tödliche Zierkonifere

Thierry Bonjour, Vincent Varlet, Marc Augsburger, Jean-Luc Pagani, Olivier Pantet
2019 Swiss Medical Forum = Schweizerisches Medizin-Forum  
Fallbericht Anamnese Ein junger 20-jähriger Patient ohne medizinische oder chirurgische Vorgeschichte wird in ein Universitätsspital eingewiesen, nachdem er mit einem Herz-Kreislauf-Stillstand in seiner Wohnung aufgefunden wurde. Ein Angehöriger des Patienten hatte im Badezimmer laute Atemgeräusche gehört und auf seine Nachfrage keine Antwort erhalten. Er verständigte den Rettungswagen, der 30 Minuten später eintraf. Die Rettungssanitäter begannen mit einer kardiopulmonalen Reanimation und
more » ... ierten den Patienten. Die erste gemessene Herzfrequenz war eine Asystolie, und der Patient wurde unter begleitender externer Herzdruckmassage ins Spital eingeliefert. Die Fremdanamnese konnte keine Erklärung für den Herzstillstand liefern. Status Die Resultate der bei der Spitaleinlieferung durchgeführten Laboruntersuchungen sind unauffällig. Davon ausgenommen sind eine Polyglobulie und eine akute Niereninsuffizienz, die beide durch Dehydrierung bedingt sind, sowie eine leichte Abweichung der Leberenzymwerte (Leukozyten 15,Bei der initialen Blutgasanalyse wird eine schwere gemischt metabolisch-respiratorische Azidose in Kombination mit einer Hyperlaktatämie festgestellt (pH-Wert 6,61, pCO2 153 mm Hg, Bicarbonat 14,3 mmol/l, pO2 30 mm Hg, Laktat 19 mmol/l). Da die Herz-Kreislauf-Tätigkeit nicht spontan wieder einsetzt und obwohl die genaue «No-Flow-Time» schwer zu bestimmen ist (Atmung bis kurz vor Eintreffen der Rettungssanitäter vorhanden), wird der Patient mittels femo-femoralem Anschluss an ein ECMO-Gerät (Extrakorporale Membranoxygenierung) angeschlossen. Die nach dem Anschluss an das ECMO-Gerät durchgeführte Computertomographie-Aufnahme (CT) zeigt ein diffuses Hirnödem, das auf das Mesencephalon drückt, sowie diffuse alveoläre Verschattungen im Thoraxbereich. Der Zustand des Patienten verschlechtert sich rasch und 24 Stunden nach der Spitaleinweisung wird der Hirntod diagnostiziert. Da jegliche Hinweise auf die Ursache des Herz-Kreislauf-Stillstands fehlen, wird im Urin und Blutplasma nach zahlreichen Toxinen (Salizylate, Ethanol, Paracetamol, Amphetamine, Methamphetamine, Barbiturate, Benzodiazepine, Buprenorphin, Cannabis, Kokain, Methadon, Opioide, LSD, Phencyclidin und trizyklische Antidepressiva) gesucht. Alle Ergebnisse dieser Laboruntersuchung sind negativ. Infolgedessen wird eine rechtsmedizinische Obduktion angeordnet. Diagnostik Erst mehrere Wochen später können wir mithilfe unserer Kollegen aus der Abteilung für Toxikologie und forensische Chemie des Centre Universitaire Romand de Médecine Légale (CURML, Westschweizer Universitätszentrum für Rechtsmedizin) den auslösenden Faktor dieses Falles erkennen. Durch qualitative Analysen von Urinproben mittels Gaschromatographie mit Massenspektrometrie-Kopplung (GC-MS) konnte 3,5-Dimethoxyphenol (3,5-DMP), ein flüchtiges Aglycon des Glykosids Taxicatin der Eibe, nachgewiesen werden. Dies wurde im Labor LAT LUMTOX (Lyon, Frankreich) durch quantitative Analysen mittels Flüssigkeitschromatographie mit Tandem-Massenspektrometrie-Kopplung (LC-MS/MS) bestätigt. Dabei wurden im Urin Paclitaxel (0,90 µg/l), Cephalomannin (1,69 µg/l) und Baccatin III (7,96 µg/l) nachgewiesen. In einer Blutprobe, die denselben Analysen unterzogen wurde, konnte lediglich Baccatin III nachgewiesen werden. Diese Resultate weisen auf den Verzehr von Eibe vor dem Tod hin. Diskussion Eiben-Vergiftungen Die Eibe (Taxus baccata, Abb. 1) ist eine in Westeuropa weit verbreitete Zierkonifere, deren Toxizität seit über zweitausend Jahren bekannt ist. Der erste beschrie-P e e r r e v ie w e d a r tic l e
doi:10.4414/smf.2019.03417 fatcat:pfre3kajqjdtbobkj4lz4nnhiq