»Gnade und Berufung ohne Reue« Joseph Ratzinger/Papst em. Benedikt XVI. und der Stand des jüdisch-katholischen Dialogs

Josef Wohlmuth
2021
Der volle Titel des Beitrags, den Joseph Ratzinger/ Papst em. Benedikt XVI. zur Veröffentlichung freigegeben hat, lautet: Gnade und Berufung ohne Reue – Anmerkungen zum Traktat ›De Judaeis‹.2 Warum äußert er sich nach dem überraschenden Amtsverzicht ausgerechnet zum Verhältnis von Kirche und Judentum noch einmal zu Wort? Er äußert sich als Theologe, der nicht mehr das höchste kirchliche Amt innehat, und deshalb – wie schon in den Jesusbüchern – allein die theologischen Argumente zählen, die er
more » ... orträgt. Joseph Ratzingers Beitrag ist ein Kommentar zu einem römischen Text, der anlässlich des 50-jährigen Jubiläums von Nostra Aetate (= NA) durch die vatikanische Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum unter dem Titel »Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt (Röm 11,29)« am 10. Dezember 2015 veröffentlicht wurde. 3 Als Schüler von Joseph Ratzinger erlaube ich es mir, mich um ein differenziertes Verstehen des Textes zu bemühen und zugleich eine kritische Beurteilung vorzunehmen, bei der allein die theologische Argumentation zählt, die auf Gegenkritik gefasst ist. 1 »Die theologische Bedeutung des Dialogs zwischen Juden und Christen« (388 – 391) Ehe sich Ratzinger den beiden zentralen Problemfeldern unter dem Stichwort Substitutionstheorie und dem Ausdruck nie gekündigter Bund zuwendet, schreibt er einen Vorspann zur Trennungsgeschichte von Juden und Christen, die mit der Tempelzerstörung des Jahres 70 n.Chr. zusammenhängt. Mit Franz Mußners Traktat über die Juden betont Ratzinger zunächst die bleibende Bedeutung des Alten Testaments. Erst die Zerstörung des Tempels habe zu einer Entwicklung geführt, welche eine doppelte Antwort auf dieses Ereignis in Judentum und Christentum hervorrief. Für das Judentum wurde schnell klar, dass der Kult des Tempels nach dessen Zerstörung nicht mehr hergestellt werden könne. Die Zerstörung des Tempels und das Exil sah man »als einen vom Glauben Israels selbst her zu erwartenden Vorgang« (388). Die entstehenden Gemeinden, die den Glauben an Jesus anna [...]
doi:10.25786/cjbk.v0i03.542 fatcat:jmycpnqpufh2fj4gt2jzzussuy