Macht und Verfassung im Werk Hannah Arendts
Hauke Brunkhorst
2012
Hannah Arendts politische Theorie ist eine Theorie der Macht: "Alle politischen Institutionen sind Manifestationen und Materialisationen der Macht; sie erstarren und verfallen, sobald die lebendige Macht des Volkes nicht mehr hinter ihnen steht und sie stützt." 1 Arendt ist davon überzeugt, dass die intrinsisch bindende Kraft, die öffentlicher Macht eigentümlich ist, allein aus dem "consent of the governed" erklärt werden kann. 2 Dieser ebenso altehrwürdigen wie vieldeutigen Formel gibt Arendt
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... ine sehr spezifische und unverwechselbare Bedeutung. Der consent of the governed verdanke sich ausschließlich einer Macht, die nur in ihrem öffentlichen Gebrauch bestehen und der eine revolutionäre Kraft zur Neubegründung des politischen Gemeinwesens innewohnen würde. Der performative Vollzug öffentlicher Macht wird von Arendt nicht nur als Ausübung der verfassungsgebenden Gewalt des Volkes, sondern überdies als egalitärer und sozial inklusiver Prozess bestimmt. Er ist deshalb, auch wenn Arendt dieses Wort nicht gemocht hat, genuin demokratisch. Insofern entspricht er exakt dem Begriff kommunikative Macht, den Habermas in den 1970er Jahren im Anschluss an Arendt eingeführt und später, in seiner Rechtsphilosophie von 1992, verfassungstheoretisch weiterentwickelt hat. 3 So wie Arendt den Begriff zunächst einführt, ist politische oder kommunikative Macht eine ebenso negative wie flüchtige Erscheinung. Sie ist negativ, weil Macht nur erscheint, um Herrschafts-und Gewaltverhältnisse, die nicht mehr durch "die lebendige Macht des Volkes" gedeckt sind, zu vernichten, und sie ist flüchtig, weil sie erst im öffentlichen Handeln einer Gruppe von Bürgern entsteht und in dem Augenblick vergeht, in dem die Versammlung sich wieder auflöst. Arendt selbst hat jedoch, ohne sich je Rechenschaft darüber abzulegen, im Übergang von Vita Activa zu Über die Revolution die handlungstheoretische Einseitigkeit und mit ihr den Dualismus von Macht und Gewalt überwunden und den (negativ) handlungstheoretischen um einen strukturellen Begriff
doi:10.57773/hanet.v3i1.110
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