Wahrnehmung und Darstellung von Frauen und Religion in Jean de Lérys Reisebericht "Histoire d'un voyage faict en la terre du Brésil 1556-58"

Nathalie Li-Pircher
2020 unpublished
Das 16. Jahrhundert ist ein Zeitalter voller politischer, gesellschaftlicher und religiöser Zäsuren, die bis heute ihre Auswirkungen haben. Mit der Erkundung der 'Neuen Welt' ging der Versuch einher, diese neue Welt und die dort lebenden Menschen zu beschreiben und diese neuen Kul-turen zu verstehen oder überhaupt als solche anzuerkennen. Die zahl-reichen Reiseberichte jener Zeit bezeugen diesen Versuch und ermögli-chen es, Prozesse der Fremdwahrnehmung und die damit einhergehen-de Konstruktion
more » ... bestimmter Bilder, zu untersuchen. Eine Wahrneh-mung, die unmittelbar mit der dem Individuum zur Verfügung stehen-den Sprache zusammenhängt bzw. von ihr abhängig ist. Einer Sprache, die wiederum von unterschiedlichen Faktoren wie der gesellschaftlichen Sozialisation, persönlichen Erfahrungswerten, historischen, religiösen und politischen Kontexten, beeinflusst wird. Die vorliegende Arbeit un-tersucht die Bedeutung von Sprache für die Wahrnehmung und Be-schreibung des 'Fremden' sowie für die Konstruktion von Frauen- und Religionsbilder. Hauptquelle dieser Untersuchung ist der 1580 erschie-nene Brasilien-Reisebericht des hugenottischen Pfarrers Jean de Léry: Histoire d'un Voyage faict en la terre du Brésil (1556-1558). Die Analyse di-verser sprachlicher Aspekte und 'Frames' in unterschiedlichen Passagen des Reiseberichts zeigt, wie entscheidend die historischen, politischen und religiösen Kontexte des 16. Jahrhunderts Lérys Wahrnehmung und die Verschriftlichung seiner Eindrücke und Erlebnisse beeinflussten: Die Reformation, die Französischen Religionskriege, Calvinismus, ge-sellschaftliche Moralvorstellungen und religiös fundierte Frauenbilder. So wird deutlich, wie Fremd-, Frauen- und Religions-Bilder über ver-einzelte von ihm verwendete Begriffe/Frames ausgelöst und konstruiert werden und wie Léry Sprache nutzt, um sowohl Bewunderung und eu-ropäische Überlegenheitsgefühle als auch scharfe Kritik an der indige-nen und europäischen Gesellschaft des frühen 16. Jahrhunderts zum Ausdruck zu bringen.
doi:10.25365/thesis.63856 fatcat:vhogql4o2bgh7h4eokb5hicpp4