Enteignen für den Wiederaufbau?

Christian Tietje, Fachinformationsdienst Für Internationale Und Interdisziplinäre Rechtsforschung
2023 Verfassungsblog: On Matters Constitutional  
Jeden Tag bringt der Krieg in der Ukraine unerträgliches und unvorstellbares menschliches Leid mit sich. Vielen fällt es schwer, täglich mit den schrecklichen Nachrichten aus der Ukraine konfrontiert zu sein. Das politische Kalkül des russischen Präsidenten Wladimir Putin, genau dies in den Staaten zu erreichen, die die Ukraine in ihrem Kampf der Selbstverteidigung unterstützen, wird dabei schnell übersehen. Vor diesem Hintergrund fällt es schwer, schon heute einen nüchternen Blick auf die Zeit
more » ... nach Beendigung der Kampfhandlungen in der Ukraine und einer Zurückdrängung des russischen Aggressors zu werfen. Das allerdings scheint notwendig, um moralisierender Politik notwendige rechtsstaatliche Rationalität entgegenzusetzen. Konkret geht es dabei um die Frage, ob es möglich ist, staatliches und/oder privates russisches Vermögen entschädigungslos zu enteignen, um so den Wiederaufbau der Ukraine zu finanzieren. Diese Überlegung liegt insbesondere der Erkenntnis zugrunde, dass schon jetzt die durch die russische Aggression verursachten Schäden in der Ukraine auf über eine Billion US-Dollar geschätzt werden. Auch wenn es bereits einige Stellungnahmen zur rechtlichen Problematik entschädigungsloser Enteignungen zu Reparationszwecken gibt (siehe insbes. Kokott, UKuR 2022, 438 ff. und 509 ff.), sind zusammenhängende Darstellungen zu den diesbezüglich maßgeblichen völkerrechtlichen Gesichtspunkten kaum vorhanden. Dieser kurze Beitrag soll die wesentlichen Aspekte, die den Rechtsrahmen der Diskussion bestimmen, zusammenfassen. Es wird dabei deutlich werden, dass es erhebliche rechtstaatliche Grenzen dafür gibt, den Wiederaufbau der Ukraine durch Enteignungen zu finanzieren.
doi:10.17176/20230203-113159-0 fatcat:3bovjpjj45bevezgqwb2rtq7ku