Editorial

Ingo Schulz-Schaeffer
2022 Soziologische Revue  
Im Editorial des vorangegangenen zweiten Heftes dieses Jahrgangs hatte ich mich mit der Besprechungsform der Einzelbesprechung befasstmeinem Plan getreu, im Laufe meiner Zeit als geschäftsführender Herausgeber jeder der Besprechungsformen, die wir in der Soziologischen Revue verwenden, einmal ein Editorial zu widmen. Nun ist die Einzelbesprechung die Urform der Gattung der Rezension, und so hatte ich dort auch eine Reihe grundsätzlicherer Fragen angesprochen, die Rezensionen insgesamt
more » ... Eine dieser Fragen richtete sich darauf, in welcher Weise Rezensent:innen Kritik äußern. Ich hatte von meinem Eindruck berichtet, dass in den Besprechungen ganz überwiegend eine Kultur zurückhaltender und moderater Kritik zum Ausdruck kommt. In einigen wenigen Fällen geben Rezensent:innen ihre Zurückhaltung allerdings auf. Dies scheint insbesondere dann der Fall zu sein, wenn sie Fehler oder Schwächen sehen, die den Autor:innen der besprochenen Bücher nach ihrer Auffassung nicht hätten unterlaufen dürfen. Die scharfe Kritik trifft vor allem etablierte Autor:innen. Der Tonfall "ehrlicher Empörung", in dem sie sich artikuliert, speist sich daraus, dass die rezensierten Autor:innen es nach Meinung der Rezensent:innen hätten besser wissen können und besser machen müssen. Selbstverständlich können sich Rezensent:innen irren, und es kommt bekanntlich vor, dass unterschiedliche theoretische und methodologische Standpunkte zu zum Teil konträren Wahrnehmungen von Sachverhalten und deren wissenschaftlicher Interpretation führen. Für Autor:innen, die sich bei insgesamt gewogenen Rezensionen mit kleineren Kritikpunkten konfrontiert sehen, mag es zu verschmerzen sein, wenn die Kritik aus ihrer Sicht aus diesen oder anderen Gründen ungerechtfertigt ist. Was aber, wenn ein:e Autor:in sich zu Unrecht einer scharfen Kritik ausgesetzt sieht, die noch dazu im Duktus ehrlicher Empörung vorgetragen wird? Hier nun kommt eine zweite, im letzten Editorial angesprochene Frage zum Tragen, nämlich die Frage nach der Asymmetrie im Kräfteverhältnis zwischen Autor:in und Rezensent:in sowie danach, ob und welche Mechanismen für Ausgleich sorgen. Die Asymmetrie besteht zunächst darin, dass Rezensent:innen Qualitätsurteile über Autor:innen abgeben, dass diese Urteile aber ihrerseits nicht in gleicher Weise einer Qualitätsprüfung ausgesetzt sind. Einen indirekt wirken-
doi:10.1515/srsr-2022-2033 fatcat:w2yzydj3t5fznldcamvn4l2lli